Icarus
in Schwierigkeiten gerätst.«
»Schwierigkeiten?« Indem er so gut wie möglich Humphrey Bogart imitierte, zwinkerte Jack ihm zu und sagte: »Schwierigkeiten sind mein Alltagsgeschäft.« Dann, als er erkannte, wie ernst es Dom war, legte er dem alten Mann die Hand auf die Schulter. »Mein ganzes Leben lang«, sagte Jack langsam, »sind Menschen, die mir nahestanden, gestorben. Und ich habe nie begriffen, weshalb. Sie sind gestorben, und ich habe überlebt. Nur einmal möchte ich herausfinden, warum. Wenn du mir dabei helfen willst, du alter Bastard, dann ist mir das mehr als recht.«
Vierunddreißig
Als Jack Keller vor dem Gebäude 467 Duane Street ankam, war sein erster Gedanke, die Adresse sei falsch. Die Sonne des späten Nachmittags war noch immer so hell, daß er blinzeln mußte, als er an dem Gebäude hochschaute. In der Hand hielt er den Brief, den Kid ihm geschickt hatte, und er las noch einmal die handgeschriebene Absenderadresse. Er verglich sie zum drittenmal mit der Nummer an dem zwanzig Stockwerke hohen Ziegelbau, und zum drittenmal stimmten sie überein. Er drückte auf den Klingelknopf, neben dem das Wort »Hausmeister« zu lesen war.
Es dauerte einige Minuten, bis der Hausmeister zum vorderen Teil des Gebäudes kam. Er hatte einen leichten Akzent, Jack tippte auf russisch, und trug einen Overall, der mit Farbklecksen bedeckt war. Aus einer der Overalltaschen ragte eine zerlesene Taschenbuchausgabe von Becketts Molloy . Er schien es eilig zu haben, und Jack fragte sich, ob er nur schnell wieder an seine Arbeit oder zu seiner unergründlichen Lektüreauswahl zurückkehren wollte.
Jack war seine Geschichte in Gedanken mehrmals durchgegangen, einmal sogar vor seinem Badezimmerspiegel, doch als er sie nun tatsächlich benutzte, klang sie weit hergeholt und fadenscheinig. Er hoffte, daß es nur daran lag, daß er sie so oft geprobt hatte.
»Ich weiß, daß das jetzt ziemlich ungewöhnlich ist«, erklärte er dem Hausmeister. »Aber ich habe in der Zeitung die Meldung über den Selbstmord gelesen.«
»Ja, es war entsetzlich«, erwiderte der Hausmeister. Nach diesen Worten war Jack sich ziemlich sicher, daß der Mann tatsächlich einen russischen Akzent hatte. »Ich war hier. Sind Sie Reporter?«
Jack hätte beinahe bejaht, um eine völlig neue Geschichte zu improvisieren, doch dann entschied er sich dafür, bei seinem ursprünglichen Plan zu bleiben und abzuwarten, was geschehen würde. »Nein«, sagte er. »Es ist ein wenig bizarrer – ich bin New Yorker. Ich wünsche mir sehnlichst, hier zu wohnen, und ich dachte mir, daß die Wohnung jetzt frei ist.«
»Sie wollen, daß ich Ihnen die Bude dieses toten Kerls zeige?« schnaubte der Hausmeister.
»Genau«, gestand Jack.
Der Hausmeister schüttelte mit einem an Bewunderung grenzenden Ausdruck den Kopf. »Sie müssen sich an das Maklerbüro wenden«, informierte er Jack. »Ich würde Ihnen gern helfen, aber …«
»Dort habe ich bereits angerufen.« Darauf war Jack vorbereitet. »Aber noch ist sie nicht zu haben. Ich nehme an, es gibt da noch einige rechtliche Probleme.« Das war natürlich eine Lüge. Er hatte keinen Makler angerufen. Tatsächlich war in der Zeitungsmeldung nicht einmal die genaue Adresse genannt worden – ein Punkt, von dem er hoffte, daß er dem Hausmeister nicht auffiel.
»Nun, da haben Sie Pech gehabt.«
»Das heißt aber, daß auch noch niemand anderer die Wohnung gesehen hat. Ich denke, damit hätte ich einen kleinen Vorsprung. Wenn sie mir gefällt, kann ich das Maklerbüro anrufen und sofort ein Angebot machen. Unbesehen sozusagen.«
»Das ist ein guter Plan«, sagte der Hausmeister. »Sie sind ein ziemlich perverser Kerl, und das mag ich. Aber ich kann Ihnen nicht helfen.«
»Was halten Sie von zwanzig Dollar?« fragte Jack. »Ich möchte mich nur ein paar Minuten lang in der Wohnung umsehen.«
»Tut mir leid.«
»Und wie ist es mit hundert?«
Der Hausmeister legte jetzt den Kopf schief. »Hundert Dollar, um das Apartment zu sehen?«
»Richtig.«
»Hey«, sagte der Hausmeister, »ich sehe keinen Grund, weshalb ich Sie daran hindern sollte, endlich Ihre Traumwohnung zu kriegen.«
Sie fuhren mit dem Fahrstuhl nach oben zum Penthouseapartment. Als sie aus der Kabine traten, steuerte der Hausmeister nach rechts.
»Auf dieser Etage sind zwei Wohnungen«, sagte er. »Auf den meisten anderen sind drei oder vier, einige haben sogar fünf.«
Er holte einen dicken Schlüsselbund hervor, fand einen Hauptschlüssel
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