Icarus
ich brauche dich heil und gesund, damit ich dir zeigen kann, wie sehr ich dich liebe.«
Er versuchte erneut, ihr zu antworten, aber er konnte es nicht. Und dann konnte er sie auch nicht mehr hören. Es war, als würde er von einem dichten Nebel zugedeckt. Er versuchte, nach ihr zu greifen, versuchte sie zurückzuholen, aber da war nichts mehr. Sie war fort und er allein.
Erst viel später entschied Jack Keller, daß da nur zwei Dinge gewesen waren, die ihn am Leben erhalten hatten.
Zuerst natürlich Caroline. Dessen war er sich absolut sicher.
Denn sie war nach diesem ersten Besuch zurückgekehrt. Viele Male. Sowohl in Virginia als auch in New York, nachdem man ihn dorthin hatte transportieren können. Und jedesmal, wenn er sie in seiner Nähe spürte, wurde er stärker, nahm seine Entschlossenheit zu, gegen das anzukämpfen, was immer ihn niederdrückte und zu ersticken versuchte. Wenn sie an seiner Seite war, hielt sie seine Hand und streichelte seine Wange, flüsterte mit ihm, machte ihm Mut und flehte ihn an, die Qualen zu ertragen, denn es läge noch so viel Schönes, so viel Freude vor ihnen. Um ihn in die Zukunft zu locken, sprach sie von der Vergangenheit, von der Zeit, die sie zusammen verbracht hatten, und obgleich er sie noch immer nicht sehen konnte, hörte er aus ihren Worten heraus, daß sie lächelte und so schön aussah wie irgend möglich, so unendlich schön.
»Kannst du dich noch daran erinnern, als wir zum erstenmal miteinander geschlafen haben?« fragte sie. Und ja, er erinnerte sich genau, an jede noch so kleine Einzelheit. So etwas Erhabenes konnte man einfach nicht vergessen, aber er hörte ihr gern zu, als sie es schilderte. Die Erinnerung machte ihn glücklich, als könnten sie sich nach all diesen Jahren noch einmal wie zum erstenmal lieben. »Ich war so nervös«, fuhr sie fort. »Aber auf andere Art nervös. Es war keine jungfräuliche Nervosität, weiß Gott nicht, aber ich hatte noch nie mit jemandem geschlafen, bei dem mir so klar war, daß es ungeheuer wichtig ist. Es war nicht nur ein Date von vielen, und wir hatten nicht einfach nur Sex, nein, wir testeten sozusagen die Lebensfähigkeit unserer als fest empfundenen Beziehung. Das klingt nicht sehr romantisch, ich weiß, aber das ist es, was ich wirklich dachte, damals schon. Und es war romantisch, denn ich wußte irgendwie, daß du genau das gleiche dachtest. Und wenn ich dich nicht zufriedengestellt hätte oder du aus irgendeinem Grund enttäuscht gewesen wärest… ich glaube, das hätte ich nicht ertragen können. Daß du mich nicht hättest zufriedenstellen können, war unvorstellbar. Ich war ja so verrückt nach dir. Hast du das gemerkt? Nein, wahrscheinlich nicht. Oder vielleicht ein bißchen. Ich habe mir nichts anmerken lassen, jedenfalls nicht zuviel. Ich hatte Angst. Allerdings hätte ich nicht sagen können, wovor genau ich Angst hatte. Vielleicht fürchtete ich mich einfach davor, wie sehr ich dich liebte.
Weißt du noch? Wir gingen in dein Zimmer im Studentenheim. Du hattest überall Kerzen aufgestellt und eine Flasche Wein gekauft. Französischen, sehr feudal. Dann hast du Joni Mitchell aufgelegt. Du hast sie noch nicht mal gern gehört, aber du wußtest, daß ich sie mochte. Und weißt du noch, wie wir uns unterhalten haben? Es war klar, daß wir zu dir gegangen waren, um miteinander zu schlafen, es war völlig klar, daß es passieren würde, daher bestand keine Eile, also quatschten wir stundenlang. Wir lagen auf deinem Bett, manchmal berührten wir uns, manchmal nicht. Und dann lag ich in deinen Armen, und wir unterhielten uns noch immer, bis ich dich küßte. Ich konnte es nicht mehr erwarten, ich mußte es einfach tun. Dann legte ich deine Hand auf meine Brust, daran erinnere ich mich ganz genau. Und dann waren deine Hände überall. So sanft. So sexy. Wir küßten uns und berührten uns und schliefen miteinander und hörten Joni Mitchell und hörten nicht auf bis irgendwann am nächsten Morgen. Ich weiß noch immer alles ganz genau. Ich erinnere mich nicht nur, ich kann es sogar spüren. Jede Berührung. Jeden Kuß. Es war so schön, nicht wahr, jung zu sein …«
Ein anderes Mal kam sie und setzte sich zu ihm und streichelte ihn und erzählte vom ersten Mal, das sie schwanger war.
»Ich habe kaum zugenommen, und ich weiß, daß du insgeheim gar nicht geglaubt hast, daß da unten tatsächlich ein Kind drin war. Aber es war da, und als ich dir sagte, ich glaubte, es wäre soweit, als ich solche Schmerzen
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