Ich bin alt und das ist gut so
mit dem Modischen, dem Zeitgeist oder dem Trend von Werbung oder Showbusiness, er durchschaut die oberflächlich leeren Fassaden und leidet an der Hohlheit der derzeitig herrschenden Religion des Konformismus …, der Melancholische … zeigt durch sein resigniertes Verhalten und durch sein betrübtes Gesicht, dass er das blendende Theater voll von Pseudo-Fröhlichkeit nicht teilen mag, … die Melancholischen fungieren ein wenig als Spielverderber, … sie haben gewissermaßen den göttlichen Auftrag, allen Menschen das Endliche und Tiefgründige des menschlichen Seins vorzuleben … Nicht vermindern, sondern vermehren sollte man die Melancholie auf Erden. Wäre mehr Melancholie auf dieser Welt, dann gäbe es weniger Gewalt, weniger Elend in der Dritten Welt, vielleicht keine Kriege mehr und weniger Ungerechtigkeit und Ungleichheit, es entstünden mehr Gleichklang mit den natürlichen Rhythmen dieser Erde und ein Mehr an tiefem Wissen und … mehr Liebe.«
Habe ich es doch gewusst! Wir MelancholikerInnen sind einfach die besseren Menschen, die anderen wissen es bloß nicht! Und sollen endlich damit aufhören, trösten zu wollen mit Reden wie: »Schau doch nicht immer so traurig, es ist doch gar kein Grund da« – »Geh doch raus in die Sonne und mach was Schönes« – »Zieh dich doch mal ein bisschen sexy an« – »Komm doch mit auf die Grillparty, das wird lustig« … (Zitat aus dem Buch von Josef Zehentbauer).
Das siebenjährige Mädchen, das bei dem Bericht der Kreuzigung Jesu mit einem Nervenzusammenbruch ins Bett gebracht werden muss, weil es in einer Welt, in der Menschen so etwas tun, nicht leben will (nämlich ich), würde man heute vermutlich als »verhaltensauffällig« mit Ritalin zugedröhnt in eine Sonderschule stecken.
Ritalin war damals glücklicherweise noch unbekannt.
Wie verschoben unsere Wertmaßstäbe sind, wurde mir bewusst, nachdem ich in New York versucht hatte, mir das Leben zu nehmen. Es folgte die übliche Einlieferung in die Psychiatrie. Daraus entlassen und zunächst glücklich, wieder draußen zu sein, packte mich eine ungeheure Sehnsucht nach der »Geborgenheit« (!) in den gefürchteten Mauern, nach meinen Leidensgenossinnen, die alle immer wieder betont hatten, dass sie »draußen« einfach nicht funktionierten – »I just did not function«. Die »drinnen« schienen mir jetzt plötzlich die »Normalen«, die Empfindsamen, und die »draußen« die »Ver-rückten« – abgestumpfte Unsensible, in der Gesellschaft aber integriert, weil sie eben »funktionierten«.
Sogar für die Depression bricht der Autor eine Lanze : »Depression ist ein deutliches Zuviel an Melancholie, doch ist auch die Depression nicht primär Krankheit (auch wenn die Psychiatrie anderes behauptet), … die Frage, ob und wann Depression zur Krankheit wird, lässt sich einfach beantworten: Ein depressiver Mensch ist dann krank, wenn er sich selbst als krank empfindet. Jedoch: Nicht jedes Leiden ist Krankheit …
Die Depression wird oft – auch medienwirksam – zur Volkskrankheit Nr. 1 erklärt: Man schätzt, dass in Mittel- und Nordeuropa dreißig bis vierzig Prozent der Bevölkerung wiederholt oder dauernd unter depressiven Beschwerden leiden. Die Depression, zur Krankheit erklärt, wird so zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor. Die Pharmaindustrie bringt immer neue und angeblich bessere Psychopharmaka auf den Markt und verdient dabei Milliarden, und die Ärzte, Psychotherapeuten und Privatkliniken kümmern sich – gegen Bezahlung – um die depressive Klientel …
In der Psychotherapie soll, zumindest primär, nicht versucht werden, den depressiven Menschen zu ändern, um ihn wieder in die oberflächliche Normalität anzupassen, sondern der Depressive soll akzeptiert werden, so wie er ist. Dieses »Akzeptiertwerden« bringt beruhigende Stille in die aufgebrachte Seele und setzt einen heilsamen Harmonisierungsprozess in Gang.«
Ein wunderbar tröstliches Buch für alle, die auch nicht so funktionieren, wie die Gesellschaft gern hätte.
Es kann ihnen helfen, mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln und ihr So-sein anzunehmen – unterstützt von den »Übungen zum traurigen Glück«.
(s. Literaturverzeichnis im Anhang)
Fazit aus meinen Erfahrungen von acht Jahrzehnten Umgang mit Melancholie und Depressionen: Nicht bekämpfen oder verdrängen, sondern annehmen – und in Kreativität umsetzen. Kann durchaus genussvoll sein.
»Wenn ich die Welt nicht gestalte, zerfällt sie mir in Stücke« – hat
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