Ich bin der letzte Jude
renne zu einem Kartoffelacker und verstecke mich
dort. Das Schießen hält an. Es ist Nacht. Zwölf Stunden lang, bis zum nächsten
Morgen, rege ich mich nicht. Ich fühle mich, als würde ich nie mehr aufstehen
können. Ich sammle meine letzten Kräfte und komme auf die Füße. Nach ein paar
Kilometern sehe ich einen Mann mir entgegenkommen. Mir ist alles gleichgültig
geworden, und ich gehe weiter. Der Mann kommt näher, an seiner Kleidung erkenne
ich, dass er ein Bauer ist, ich frage ihn nach dem Weg. Ohne lang zu überlegen,
sagt er: »Du bist wohl einer von denen, die aus Treblinka geflohen sind.«
Ich sehe, dass er voller Mitleid ist. Ich sage ihm, dass ich
geflohen bin, und bitte ihn um Hilfe. Er sagt, er sei auf dem Weg zur Mühle, um
Weizenmehl für das Fest zu kaufen, das übermorgen gefeiert wird. Dennoch bietet
er mir an, umzukehren und mich mit nach Hause zu nehmen, zwei Kilometer weiter
weg. Ich folge ihm.
Als ich bei ihm eintrete, sehe ich eine Frau mit einem kleinen Kind
auf dem Arm. Ich drücke das Kind an mich und küsse es. Die Frau schaut mich
überrascht an, und ich sage: »Liebe Frau, seit einem Jahr habe ich kein
lebendes Kind mehr gesehen …« Wir weinen alle drei. Sie gibt mir zu essen, und
als sie merkt, dass meine Kleider nass sind, bringt sie mir ein Hemd von ihrem
Mann. Es sei das letzte, sagt sie.
Diese Menschen wollen mir offensichtlich helfen. Die Frau sagt mir
unter Tränen: »Ich möchte Ihnen wirklich helfen, aber ich habe Angst vor den
Nachbarn. Ich habe doch ein kleines Kind …«
Nach einer halben Stunde bedanke ich mich herzlich und verabschiede
mich. Vom Fenster aus zeigt mir der Mann eine Scheune, nicht weit weg auf dem
Feld. Sie gehöre einem reichen Bauern, und niemand gehe je dorthin. Er rät mir,
mich dort zu verstecken und abends zu ihm zu kommen, damit er mir etwas zu
essen geben kann. Ich bedanke mich noch einmal und gehe zur Scheune. Ich
verstecke mich im Heu, damit man mich nicht sieht. Was für ein Glücksgefühl!
Am Abend krieche ich aus dem Heu und gehe wieder zu meinen Freunden.
Sie nehmen mich herzlich auf. Plötzlich ist ein Nachbar da. Er grüßt nicht
einmal, kommt direkt auf mich zu und schlägt mir rechts und links ins Gesicht.
Er brüllt: »Jud, folge mir!«
Ich bin ratlos. Die Frau, die sofort begriffen hat, was er mit mir
vorhat, fleht ihn an, mich laufen zu lassen, aber er weigert sich. Sie umarmt
ihn und sagt: »Franek, was hast du gegen diesen Mann? Kennst du ihn überhaupt?«
Er schreit los und fragt, warum sie mich denn schützen wolle.
»Weißt du denn nicht, dass diese Verbrecher Treblinka in Brand
gesetzt haben? Ich will meine Belohnung!«
Ihre Tränen und ihr Bitten verrichten nichts. Als sie sieht, dass
sie ihn nicht überzeugen kann, fasst sie ihn von hinten um die Taille und
schreit, ich solle davonlaufen.
Es gelingt mir zu entkommen, ich nehme beide Beine unter die Arme,
renne aus dem Garten und noch etwa hundert Meter weiter, dann lege ich mich in
einem Feld auf die Erde. Vorerst will ich nicht weiter, es wäre schade, so gute
Menschen zu verlieren. Als ich sicher bin, dass dieser Franek gegangen ist,
schleiche ich zu meinen neu gewonnenen Freunden zurück. In der Scheune lege ich
mich schlafen. Am nächsten Morgen kommt der Bauer und begrüßt mich herzlich,
als er mich sieht. Er fürchtet, dass ich gefasst werde, die Leute rundherum
seien skrupellos. Mehrmals am Tag bringt er mir zu essen. Am Abend verstecke
ich mich wieder in der Scheune mitten auf dem Feld.
Ich bleibe etwa zwei Wochen. Abends gehe ich zu den guten Menschen,
durchs Fenster reichen sie mir etwas zu essen. Aber dann ist der Besitzer der
Scheune gekommen und hat dort Getreide abgeladen. Mir war, als hätte er mich
gesehen. Ich beschließe, das Versteck zu verlassen und nach Warschau zu gehen.
Am Abend gehe ich noch einmal zu meinen Bekannten, um ihnen meinen
Entschluss mitzuteilen. Sie wollen mich davon abbringen, ich könnte den
Gendarmen in die Hände fallen, die die Straßen kontrollieren. Aber ich lasse
mich nicht zurückhalten und verabschiede mich. Der Bauer erklärt mir noch, dass
der nächste Bahnhof Kostki heißt und sieben Kilometer entfernt liegt.
Die Reise ist schwierig, die Züge sind voller Gendarmen,
die kontrollieren. Dennoch gelange ich unbehelligt nach Warschau und fahre dann
nach Piastów, wo Jonasz, ein polnischer Freund, wohnt. Er erkennt mich nicht
sofort und will mir fünf Zloty Almosen geben. Als ich ihm sage, wer ich bin,
freut er
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