Ich bin kein Serienkiller
lautes Husten. Es klang nicht echt, und dahinter nahm ich noch etwas anderes wahr. Ein Brummen. Er nahm die Hand wieder weg, war jetzt aber schwerer zu verstehen. Vielleicht Störungen in der Leitung, ein Rauschen.
Was tat er?
»Ich habe mich unerfahren verhalten, weil ich unerfahren war«, erklärte er. »Ich habe mehr Leben genommen, als Sie es sich vorstellen können, aber Jeb war der Erste … den ich nicht ganz und gar behalten habe.«
»Sie haben ihn nicht behalten? Aber …« Konnte er Seelen an sich nehmen? Konnte er ein ganzes Leben genauso leicht stehlen wie die Körperteile?
Oder konnte er ein Leben anstatt der Körperteile nehmen?
»Sie haben Emmetts ganzen Körper genommen und davor den Körper von jemand anders, und davor war es wieder jemand anders. Das verstehe ich. Sie mussten die Leichen nicht verstecken, weil Sie alles nahmen und Ihren alten Körper zurückließen. Deshalb fand sich in Emmetts Haus so viel Kleister. Sie haben dort einen ganzen Körper abgelegt, nicht nur einen Teil, und Sie …«
Ping … ping … ping …
»Was ist das?«, fragte ich.
»Was denn?«
»Dieses Geräusch. Es klang wie ein …« Ich legte auf, schnappte mein Fahrrad und blickte aufgeregt die Straße entlang.
Ich hatte seinen Blinker gehört. Crowley saß im Auto und suchte mich.
Auf der Main Street war niemand. Ich sprang aufs Fahrrad, sauste um die Ecke und geriet auf dem Eis ins Rutschen, weil ich es viel zu eilig hatte. Auch auf dieser Straße war er nicht. Ich richtete mich wieder auf und trampelte, so schnell ich konnte, bis zur nächsten Ecke. Dort bog ich in die andere Richtung ab, weg von seinem Haus und dem Weg, den er vermutlich einschlug.
Deshalb hatte er mit mir geredet. Mr Crowley benutzte sein Handy und hatte die Nummer gesehen. Wahrscheinlich war ihm klar, dass ich einen Münzfernsprecher benutzte. Er hatte mich in der Leitung gehalten, während er nach draußen gegangen war und sein Auto angelassen hatte, um mich zu suchen. In der Stadt gab es nicht viele öffentliche Telefone, die er jetzt wahrscheinlich der Reihe nach überprüfte – am Flying J , an der Tankstelle vor dem Sägewerk und an der Tankstelle auf der Main Street, wo ich gewesen war. Letztere hatte Gott sei Dank über Weihnachten geschlossen, deshalb konnte mich kein Mitarbeiter beschreiben, wenn der freundliche alte Mr Crowley auftauchte und Fragen stellte. Gleichzeitig stellte mich die Weihnachtszeit vor ein anderes Problem. Die Firmen in der Innenstadt waren geschlossen, alle Türen versperrt, die Geschäfte menschenleer. Ich konnte mich nirgends vor ihm verstecken.
Was hatte Weihnachten in einer Kleinstadt wie Clayton geöffnet? Das Krankenhaus – aber nein, auch dort gab es vermutlich ein Münztelefon, das Crowley überprüfen würde. Als ich ein Auto hörte, zog ich mich von der Straße auf eine verschneite Wiese zurück und stapfte neben einem Wohnhaus entlang. Zwischen zwei Gebäuden entdeckte ich eine Lücke und auf halbem Wege dazwischen eine Gasuhr. Ich zwängte mich daran vorbei und hockte mich auf der anderen Seite hin, während ich durch den Canyon aus Ziegelwänden die Straße beobachtete. Das Auto fuhr vorbei. Ich wusste nicht, wer es war oder wohin es wollte, aber ich war froh, dass ich mich versteckt hatte.
Den Rest des Nachmittags blieb ich dort, bis es Abend wurde. Ich hockte bibbernd im Schnee, und irgendwann meldete sich mein Körper ab und nahm die Kälte nicht mehr wahr, doch ich wagte mich nicht zu bewegen. Ich stellte mir ein Feuer vor, ich sah Mr Crowley vor mir, wie er kreuz und quer durch die Stadt fuhr und ein engmaschiges Netz um mich wob. Eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit zog ich mein Fahrrad wieder heraus. Ich war steif, und meine Hände und Füße brannten vor Kälte. Ich fuhr nach Hause, bemerkte Mr Crowleys Auto, das ordentlich in der Einfahrt parkte, und ging nach oben.
Unser Haus war leer und still, die anderen waren nicht da.
VIERZEHN
In den nächsten drei Tagen musste ich immer wieder an mein Gespräch mit Mr Crowley denken, und es blieb kein Raum für irgendetwas anderes. Am Weihnachtsabend war Mom weinend nach Hause gekommen und hatte gesagt, sie hätten stundenlang nach mir gesucht, wo ich denn gewesen sei, und sie sei so froh, dass mir nichts zugestoßen sei und tausenderlei mehr. Ich hörte kaum zu, weil ich viel zu sehr damit beschäftigt war, über Mr Crowley nachzudenken. Am Tag nach Weihnachten kam Margaret zu uns, und wir gingen zu dritt in ein Steakhaus. Auch dort
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