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Ich bin kein Serienkiller

Ich bin kein Serienkiller

Titel: Ich bin kein Serienkiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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war ich tief in Gedanken versunken und achtete nicht auf sie und mein Essen. Wahrscheinlich glaubten sie, ich sei wegen des Weihnachtsgeschenks meines Vaters so niedergeschlagen, aber das hatte ich, ehrlich gesagt, schon wieder vergessen. Mir gingen nur noch Mr Crowleys Andeutungen und Eingeständnisse durch den Kopf. Bis Mittwoch hatte Mom es aufgegeben, mich aufheitern zu wollen, auch wenn sie mich manchmal noch nachdenklich anstarrte. Ich war dankbar, dass ich endlich etwas Frieden und Ruhe hatte.
    Mr Crowley hatte im Grunde zugegeben, dass er früher ganze Körper gestohlen hatte, während er jetzt nur noch Körperteile nahm. Irgendwie konnte ich das verstehen. Es erklärte, warum die DNA des Kleisters immer auf ein und dieselbe Person hinwies, denn es handelte sich um Emmett Openshaws ganzen Körper. Jetzt verstand ich auch, warum Crowley so leicht tötete und sich so schwertat, die Beweise zu vertuschen. Wahrscheinlich hatte er Jeb Jolley aus reiner Verzweiflung umgebracht, weil er dem Sterben nahe war und eine gesunde Niere brauchte. Er hatte sich vorher einfach nicht überlegt, wie er anschließend mit der Leiche verfahren sollte. Vor einem solchen Problem hatte er noch nie gestanden. Im Verlauf des Jahres hatte er noch weitere Menschen getötet und dazugelernt. Inzwischen suchte er sich allerdings Opfer aus, die in der Stadt niemand kannte – etwa den einsamen Streuner, den er zum Freak Lake gebracht hatte. Selbst jetzt, einen Monat später, vermisste niemand diesen Mann, und keiner wusste, dass der Clayton-Killer kurz vor Thanksgiving ein weiteres Opfer gefordert hatte. Auch über das andere Opfer, das er – von mir unbemerkt – unmittelbar vor Weihnachten getötet hatte, war noch nichts bekannt. Vermutlich hatte es sich auch dabei um einen Streuner gehandelt.
    Jetzt begriff ich auch, warum er von einem Opfer nie mehr als einen Körperteil stahl. Wenn er den ganzen Körper raubte, dann musste er auch dessen Gestalt übernehmen. Wahrscheinlich fürchtete er, seine gegenwärtige Tarnung als Mr Crowley zu gefährden, wenn er einer einzigen Leiche zu viele Körperteile entnahm. Einen Arm hier und eine Niere dort konnte er mühelos eingliedern, aber wenn es zu viel wurde, mochte das Opfer einen gewissen Einfluss ausüben, und er verlöre die Identität als Bill Crowley, die er mit so viel Mühe zu wahren versuchte.
    Ja, er war besser dran, wenn er auf diese Weise und nicht mehr wie früher tötete, aber die Frage blieb, warum er sich überhaupt verändert hatte. Und warum gab es eine Lücke von vierzig Jahren, in denen er überhaupt nicht getötet hatte? Ich versuchte, mich in seine Lage zu versetzen – ein Dämon wandert auf der Erde umher, tötet jemanden, stiehlt dessen Körper und beginnt ein neues Leben. Wenn ich alles tun konnte, was ich nur wollte, warum sollte ich dann hier im Clayton County hocken? Wenn ich so jung und stark sein konnte, wie ich nur wollte, warum sollte ich dann alt sein? So alt, dass mein Körper fast auseinanderfiel? Wenn ich fähig war, einen Menschen zu töten und spurlos zu verschwinden, warum sollte ich dann bleiben, ein Dutzend Menschen umbringen und immer mehr Spuren hinterlassen, mit deren Hilfe die Cops mich früher oder später finden würden?
    Ich versuchte, ein neues psychologisches Profil zu entwickeln, indem ich mit der alten Schlüsselfrage begann: Was tat der Mörder, das er nicht tun musste? Er blieb immer an demselben Ort und behielt dieselbe Identität bei. Er wurde alt und tötete immer wieder – das musste eine Bedeutung haben. Genoss er es? Offensichtlich nicht. Aber wenn ich richtig verstand, wie er funktionierte, dann war er sicher nicht gezwungen, so viele Menschen zu töten. Er hatte andere Möglichkeiten. Warum tat er es also?
    Wenn er etwas tat, das er nicht tun musste, dann bedeutete dies – er wollte es tun. Warum wollte er alt werden? Warum wollte er in diesem gottverlassenen eiskalten Kaff bleiben? Was bot Clayton, das der Dämon anderswo nicht fand? Ich konnte es nicht selbst herausfinden; ich brauchte Dr. Neblin. Am Donnerstag hatte ich einen Termin bei ihm, also blieb mir noch ein Tag, um mir eine Strategie auszudenken – wie ich die richtige Antworten bekäme, ohne etwas zu verraten.
    Am nächsten Morgen erinnerte Mom mich beim Frühstück an den Termin und nahm am Nachmittag beinahe schockiert zur Kenntnis, dass ich tatsächlich aufs Fahrrad stieg und in die Stadt fuhr. Aus ihrer Sicht war es vermutlich die erste Aktivität, die sie bei mir

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