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Ich gegen Dich

Titel: Ich gegen Dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Downham
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lernen. An den Wochenenden würde sie zehn Stunden am Tag lernen und sich mit einer DVD belohnen. Nachts würde sie sieben Stunden Schlaf bekommen. Sie versuchte auszurechnen, wie viele Lernstunden sie sich selbst insgesamt verordnet hatte und auf wie viele Stunden Schlaf sie alles in allem kommen würde, aber es war eine Übungsstunde ohne Taschenrechner, und sie bekam ihren Kopf nicht frei dafür. Stattdessen zeichnete sie eine grüne Schlange mit roter Zunge unten auf das Blatt.
    Hinter dem Klassenzimmerfenster funkelte die Sonne auf dem Schulhof. Der Rand des Sportplatzes war gerade noch zu sehen, und der Rasen sah sehr einladend aus, wie er ihr so zuwinkte. Ellie dachte an den Fluss dahinter. Ihr gefiel, dass sie ihn nicht sehen konnte, aber wusste, dass sein eiskaltes Glitzern ein leuchtendes Muster auf den Zaun warf.
    Die Wahrscheinlichkeit einer sicheren Annahme ist gleich eins. Die Wahrscheinlichkeit von etwas Unmöglichem ist gleich null. Sich an jenem Mittwochnachmittag, als sie eigentlich Unterricht hatte, auszuziehen und in den Fluss zu springen gehörte eindeutig in die zweite Kategorie, und trotzdem war es passiert. Wie konnte die Mathematik das erklären?
    Behauptung: Ein Mädchen und ein Junge springen in einen Fluss. Der Junge schwimmt zu dem Mädchen und sagt: »Mann, ist das kalt.«
    Frage: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich küssen werden?
    Nein, sie durfte nicht an Mikey denken! Ganz besonders nicht daran, wie sie ihn gestern geküsst hatte – seine Küsse, anfangs sanft und wie ein Hauch, fast nicht spürbar und doch genug, um ihr Blut in Wallung zu bringen. Sie durfte nicht daran denken, wie sich ihre Küsse gesteigert hatten – wie sie immer stürmischer wurden, so als würden sie beide nach etwas suchen.
    Sie zwang ihre Aufmerksamkeit in das Klassenzimmer zurück. Ihr Plan bestand darin, hart zu arbeiten und alle verpassten Übungsstunden aufzuholen; und in dem Zeitplan gab es keinen Platz für Mikey.
    »Also«, sagte Ms. Farish, »denken wir an die verschiedenen Methoden, Daten in einem Diagramm darzustellen.«
    Ellie schrieb auf: horizontale Achse, vertikale Achse. Sie hörte Ms. Farishs Beschreibungen zu, wie man Daten in Gruppen unterteilte. Aber als sie Diagramme zeichnen sollten, zeichnete sie stattdessen ein Häuschen, ein Kaminfeuer, einen Jungen, einen Reißverschluss. Sie schrieb die Worte So hab ich mich noch mit keiner gefühlt. Und malte die Buchstaben fett, setzte sie in ein Kästchen. Schrieb sie noch einmal in Großbuchstaben.
    Offenbar hatte niemand außer ihr Konzentrationsschwierigkeiten. Sie sah sich um: all die über die Tische gebeugten Köpfe, all die fieberhaft kritzelnden Stifte. Statistisch gesehen, mussten in dieser Klasse Schüler sein, die sich wegen der Prüfungen nachts in den Schlaf weinten. Sie waren erschöpft, hatten starke Kopfschmerzen. Morgens wachten sie mit dem Gefühl auf, überhaupt keinen Schlaf bekommen zu haben. Ihre Augen brannten, der Magen schmerzte. Das waren ihre Mitschüler, dreißig an der Zahl, und sie kannte kaum einen davon.
    Was hatte sie zu ihrem Vater gesagt? Vielleicht kennen wir uns alle nicht.
    Frage: Wenn dreißig Leute in einem Raum sind, wie viele Geheimnisse enthält der Raum?
    Antwort: Unendlich.
    Plötzlich verspürte sie den überwältigenden Wunsch, aufzustehen und ihres zu bekennen, wie eine Art Wahrheits-Tourettesyndrom. Sie würde sich vorne vor die Klasse hinstellen, Ms. Farish von dem interaktiven Whiteboard wegboxen und schreiben: Ich habe vor einem prasselnden Kaminfeuer mit Mikey McKenzie geschlafen, und ich hätte nie gedacht, dass Liebe so toll sein kann. Von ihrem Mut angesteckt, würden alle ihre Geheimnisse beichten. Ms. Farish würde ihnen berichten, warum sie von ihrer vorigen Schule rübergewechselt war, Joseph würde ihnen die Ritzen an seinen Armen zeigen und seine Zwangshandlungen erklären, Alicia ihre Gründe dafür nennen, dass sie jede Mittagspause in der Toilette verbrachte. Und immer so weiter, die ganze Klasse durch. Vielleicht würde sie sogar ein zweites Mal drankommen. Dann würde sie schreiben: Mein Bruder ist schuldig. Ellie fragte sich, ob man die gesammelten Daten wohl per Balken-, Torten- oder Säulendiagramm präsentieren würde.
    Draußen taumelten Frühlingswolken vorbei, die Grashalme wellten sich weiter, der Fluss floss wie immer dahin. Sie schrieb ein Gedicht: Wir sind nackt. Du bist zart. Deine Hände wissen genau, wo sie hingehören. Sie riss es aus ihrem Heft,

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