Ich gegen Osborne
können?«
»Ja, Sir.«
»Wie viel haben Sie getrunken?«
»Nur einen Schluck. Es tut mir wirklich leid, wenn Sie mich fragen.«
»Dass Sie erwischt wurden.«
»Das stimmt. Aber mir ist klar, dass man Regeln braucht, und es tut mir leid, sie gebrochen zu haben.«
»Sie haben nicht nur die Regeln gebrochen, sondern das Gesetz. Ist Ihnen klar, wie ernst das ist?«
»Ja, Sir.«
»Vermutlich haben Sie den Kursraum unter dem Vorwand verlassen, Sie müssten zur Toilette?«
»Stimmt. Ja. Das trifft zu.«
[162] »Hatten Sie einen Passierschein?«
»Nein, Sir.«
»Was soll das ganze Sir -Gerede?«
»Ich nenne alle Erwachsenen Ma’am und Sir. Ein Grundsatz von mir.«
»Das können Sie sich bei mir sparen. Sagen Sie es nur, wenn es Ihnen ernst ist.«
»Es ist mir ernst, aber ich höre trotzdem damit auf. Ist wohl eine schlechte Angewohnheit von mir.«
»Wenn es ernst gemeint ist, dann begrüße ich es, aber das ständige Ja, Sir, nein, Sir in Verbindung mit dem Händeschütteln – das wirkt so, als würden Sie sich über alles lustig machen.«
»Verzeihen Sie, aber Sie haben mich völlig falsch eingeschätzt.«
Das ließ ihn auflachen (er konnte also lachen), doch es war ein angefressenes Lachen, als wäre ich ein Kellner, der ihm gerade eröffnet hatte, der Küche sei die von ihm bestellte Ochsenbrust ausgegangen.
»Welcher Lehrer hat Ihnen keinen Passierschein gegeben?«
So viel dazu, ihn aus der Sache rauszuhalten. »Slim – ich meine: Mr. Remus.«
»Hat er Sie schon einmal ohne Schein auf die Toilette gehen lassen?«
»Nein. Aber ich gehe selten auf die Toilette.«
»Sie haben also nur wegen heute eine Ausnahme gemacht?« Er nickte Richtung Flasche.
»Das war untypisch für mich. Fragen Sie alle meine Lehrer.«
[163] »Ich glaube Folgendes. Ich glaube, Sie haben nicht zum ersten Mal einen Schluck getrunken, sondern sind heute nur zum ersten Mal erwischt worden.« Er hatte das Gebaren eines Menschen, der sich für viel intelligenter hielt, als er tatsächlich war – eine gefährliche Eigenheit.
»Darf ich fragen, wie Sie darauf kommen?«
»Genau deshalb. Darf ich fragen, wie Sie darauf kommen? Sie sind übertrieben höflich.«
»Ist das denn nicht gut?«
»Sehen Sie, ich ziehe mir die Hose nicht mit der Kneifzange an. Ich glaube, Sie wollen mit Ihrer Höflichkeit etwas verbergen. Ich glaube, dieses nette, höfliche Getue ist Schauspielerei.«
»Aber so bin ich immer! Sie können jeden meiner Lehrer fragen!«
»Beruhigen Sie sich. Hören Sie. Eins nach dem anderen, ich sag’s Ihnen gleich, Sie müssen anfangen, sich für die Schule normal zu kleiden.«
»Wie bitte?«
»Keine Anzüge mehr.«
Jetzt konnte ich ihm in die Augen sehen, die klein waren und mich an die eines Tiers erinnerten, wahrscheinlich kein Säugetier. Er trug eine Brille mit Rand, die oben einen durchgehenden geraden Steg hatte, wie sie so viele Männer über sechzig bevorzugen.
»Keine Anzüge mehr?«
»Das verstößt gegen die Kleiderordnung. Man soll nichts anziehen, was ablenken oder andere am Lernen hindern könnte.«
»Doch bei der Hälfte der Typen sieht man die [164] Unterhose, und die Mädchen sollen mindestens Bermudashorts tragen, doch die ganze Welt kann ihre fetten Oberschenkel seh–«
»Wollen Sie sich wirklich mit mir streiten, ausgerechnet jetzt?«
»Nein.«
»Hören Sie, ich weiß, es klingt seltsam, Sie zu bitten, sich nicht länger schick anzuziehen, aber ich möchte Ihnen zeigen, was ich meine.«
Er stand auf und öffnete seine Schranktür. Drinnen hing ein Ganzkörperspiegel.
»Hier. Stehen Sie auf.« Als ich aufstand, bedeutete er mir, mich neben ihn vor den Spiegel zu stellen. Ich sah, dass ich mindestens dreißig Zentimeter größer war als er. Er hatte braune Anzugschuhe, eine Khakihose und ein kurzärmeliges weißes Polohemd an, dazu einen dunkelblauen Pullunder (blau und weiß waren die Schulfarben). »Was stimmt an diesem Bild nicht?«
»Ich verstehe, was Sie meinen.«
»Beantworten Sie meine Frage.«
»Ich kleide mich seriöser, und Sie bevorzugen eine legerere Kleidung.«
»Sagen Sie es mir doch einfach auf den Kopf zu. Sie sind besser gekleidet als ich. Das rückt mich und Ihre Lehrer in ein schlechtes Licht.«
Ich nickte und biss auf die Innenseite meiner Wange. Ich spürte, wie meine Höflichkeit sekündlich abnahm. Mr. Shankly ging hinten um seinen Schreibtisch herum und setzte sich. Ich setzte mich ebenfalls.
»Ich will diesen Anzug nicht noch einmal in meiner
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