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Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!

Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!

Titel: Ich glaube, der Fliesenleger ist tot! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Karnick
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geschickt, sie hat auch mal ihre Ruhe verdient. Mein Mann ist in der alten Wohnung und streicht dort Wände. Herr Krummwinkel ist nur widerwillig gekommen. Er hat schließlich eine Frau, zwei Kinder und Wochenende. Aber immerhin ist er gekommen. Nach seinem Meister hat inzwischen auch sein Chef das Handy ausgestellt. Herr Krummwinkel verzieht sich in das vor nicht einmal achtundvierzig Stunden fertig geflieste Kinderbad und beginnt, rund um den Duschablauf die Bodenfliesen zu entfernen. Nach einer halben Stunde ruft er mich ins Bad.
    »Hier ist irgendwo was«, sagt Herr Krummwinkel und patscht mit der flachen Hand auf den frei gelegten Estrich um den Duschablauf Richtung Toilette. »Feucht, und in Richtung Klo immer feuchter.«
    Herr Krummwinkel ist zwar immerhin gekommen, aber offensichtlich möchte er so schnell wie möglich wieder gehen: »Also, da muss ich wohl mal die Vorsatzschale aufstemmen, aber da habe ich jetzt nicht das richtige Gerät mit dabei, und das schaffe ich auch gar nicht, so allein. Das mache ich Montag.«
    Dann packt er seine Sachen zusammen und geht, und das Schlimmste ist: Ich lasse ihn gehen und packe weiter Kartons aus. Ich weiß bis heute nicht genau, warum ich mich nicht vor ihm in die Tür geschmissen und geschrien habe: »Halt! Nur über meine Leiche! Sie bleiben gefälligst, bis Sie das Leck gefunden haben, und wenn das bis morgen früh um sechs dauert!«
    Ich nehme an, es war meine Psyche, die mich davon abhielt, weil sie immer noch nicht bereit war, der ganzen Wahrheit ins Auge zu blicken. Meine Psyche, die Verdrängungsmeisterin, flüsterte: »Nun werd bloß nicht albern, der Mann ist vom Fach, der wird schon wissen, was er tut.«
    Am Sonntagvormittag – mein Mann will gerade wieder aufbrechen in die alte Wohnung und weiterstreichen – entdecke ich, dass die Wasserränder an den Wänden viel breiter sind als am Vortag. Mir wird schwindelig, ich muss mich auf die Treppe setzen und die Augen schließen. Ich sehe hinter verschlossenen Lidern: ein Haus, in dem das Wasser höher und höher steigt. Überall ist Wasser im Haus, plötzlich auch um das Haus herum, das Haus ist umgeben von einem Meer. Das Haus beginnt zu schwimmen, es schwimmt weg von dort, wo es zu stehen hat. Ich fange an zu schreien. Ich schreie den Namen meines Mannes. Ich schreie: »Das Wasser, es wird immer mehr und mehr, wir müssen etwas unternehmen! Tu was, mach, dass das mit dem Wasser aufhört!«
    Mein Mann sagt: »Ich muss jetzt erst mal streichen, ich rufe nachher Herrn Krummwinkel an!«
    Ich schreie, und während ich schreie, heule ich: »Nachher ist es zu spät! Das Haus schwimmt weg, merkst du das nicht! Alles geht kaputt, der Boden, die Wände, die Möbel, unser ganzes nagelneues Haus, unser ganzes Leben geht kaputt, alles umsonst, alle Mühe, die ganzen letzten Monate! Wenn du nichts tust, drehe ich durch!«
    »Du bist doch schon dabei durchzudrehen«, sagt mein Mann und nimmt mich in den Arm. »Nun hör erst mal auf zu schreien!«
    »Ich kann nicht aufhören!«, schreie ich. »Ich war die ganze Zeit ruhig, ich habe mich bis eben zusammengerissen, aber jetzt muss ich schreien. Ich kann erst wieder aufhören zu schreien, wenn das Wasser weg ist.«
    »O.k., o.k., schon gut«, sagt mein Mann. »Ich rufe Herrn Krummwinkel an, jetzt sofort.«
    Herr Krummwinkel sagt zu meinem Mann: »Es hat ja auch wieder geregnet.«
    Da wird auch mein Mann etwas lauter.
    Herr Krummwinkel sagt: »Na gut, Montag um sechs stehe ich auf der Matte, Ehrenwort.«
    Da fängt auch mein Mann an zu schreien.
    Ein paar Stunden später ist Herr Krummwinkel da. Als Erstes dreht er den Hauptwasserhahn ab: Das Tropfen wird weniger. Warum hat der Sanitärinstallateur Herr Krummwinkel den Hauptwasserhahn nicht schon am Donnerstag zugedreht? Warum ist nicht wenigstens einer von uns auf diese Idee gekommen? Manch große Frage im Leben muss für immer unbeantwortet bleiben. Dann sägt Herr Krummwinkel die frisch geflieste Trockenbauwand im Kinderbad auf. Spätnachmittags um sechs kommt er zu uns und verkündet mit einem hörbaren Anflug von Stolz: »Ich hab’s. Ein undichtes Frischwasserrohr. Jetzt isses aber dicht, das garantiere ich Ihnen persönlich.«
    Um acht Uhr abends hört es in der Küche auf zu tropfen. Mein Mann sagt: »Halleluja. Und übrigens: So laut wie vorhin habe ich dich in zwanzig Jahren noch nicht schreien hören. Das einzig Gute daran: Endlich war ich mal nicht schuld.«
    Ich kann schon wieder ein bisschen lachen. Ich gehe nach

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