Ich habe einen Namen: Roman
kommen, würden sie vielleicht eine Ausnahme
machen und mich eine Djeli, eine Geschichtenerzählerin, werden lassen. Abends
im Dorf, wenn die Feuer glommen und die Alten ihren gesüßten Tee tranken,
würden sich Besucher von weither zu uns setzen, um meine unglaubliche
Geschichte zu hören. Um eine Djeli werden zu können, musste man in eine
besondere Familie hineingeboren werden. Das hatte ich mir immer gewünscht, denn
dann hätte ich die Ehre gehabt, all die alten Geschichten unseres Dorfes und
unserer Vorfahren lernen und weitererzählen zu dürfen. Ganz früh schon, wenn
ein Kind in eine Djeli-Familie hineingeboren wurde, lernte es die Geschichte
des Krokodils, das fünf Kinder davontrug, und des Mannes, der so reich war, dass
er siebzehn Frauen hatte, aber auch so grausam, dass sie ihm alle davonliefen,
und natürlich auch die Geschichte, wie zum ersten Mal ein Mann aus dem Dorf aus
Timbuktu zurückgekommen war und den geheimnisvollen Koran in der Hand gehalten
hatte. Es hieß, wenn ein Djeli dahinschied, starb mit ihm das Wissen von
hundert Männern.
Als ich die Planke
hinaufgezogen und wie ein Sack Mehl aufs Deck des Toubabu-Schiffes geworfen
wurde, suchte ich Trost in der Vorstellung, eine Djeli zu sein, die das alles
sehen und sich einprägen musste. Meine Aufgabe bestand darin, alles, was
geschah, in mich aufzunehmen, um es dereinst bezeugen zu können. Eigentlich
hätte Papa gar nicht erst anfangen sollen, mir beizubringen, wie man auf
Arabisch las und schrieb. Warum hatte er die Regeln gebrochen? Vielleicht hatte
er geahnt, dass etwas geschehen würde, und gewollt, dass ich darauf vorbereitet
war.
Auf dem Schiff und
während all der Jahre danach habe ich oft darüber nachgedacht, wie viel mir
meine Eltern in unserer kurzen gemeinsamen Zeit in den Kopf gepflanzt hatten.
Sie hatten dafür gesorgt, dass ich wusste, wie man ein Hirsefeld bestellte. Als
Kind schon war ich genauso schnell wie später als Erwachsene gewesen, wenn es
ans Säen ging. Ich wusste, wie ich die rechte Ferse in die Erde bohrte, den
Samen in das kleine Loch fallen ließ und es mit den Zehen wieder verschloss,
einen Schritt vor machte und das Ganze wiederholte. Ich wusste, wie man Unkraut
ausriss, begriff, dass man die Erde hacken musste, damit der Regen sie küsste
und heiratete und nicht gleich wieder weglief. Ja, ich konnte ein Hirsefeld
bestellen, und gleichzeitig hatten meine Eltern mir gezeigt, dass auch mein
Denken kultiviert werden musste.
Gleich eine ganze Reihe
von Zufällen rettete mein Leben, als es über den Ozean ging. Eine große Hilfe
war, zu den letzten Menschen aus meiner Heimat zu gehören, die auf das Schiff
verladen worden waren, und es half auch, so jung zu sein. Als Kind hatte man
gewisse Vorteile auf einem Sklavenschiff. Niemand brachte so schnell ein Kind
um, nicht mal ein Menschenfänger. Aber auch das Denken eines Kindes ist
anpassungsfähiger. Erwachsene sind starrer – biege sie zu stark und sie
brechen. So viele Male während dieser Reise hatte ich unbeschreiblich große
Angst, aber mein Geist blieb gesund, während Männer und Frauen im Alter meiner
Eltern den Verstand verloren. Wäre ich zweimal elf Jahre alt gewesen, wäre ich
vielleicht auch wahnsinnig geworden.
Auf dem Sklavenschiff
habe ich Dinge erlebt, die mir hier in London niemand glauben würde. Aber ich
denke an die Menschen, die den Ozean zusammen mit mir überquert haben. Die
Überlebenden. Wir haben dasselbe gesehen, und einige von uns wachen nachts
immer noch schreiend auf. Die Männer, Frauen und Kinder auf den Straßen hier
haben nicht mal eine ferne Ahnung von unseren Albträumen. Sie können nicht
wissen, was wir erlitten haben, und so müssen wir sie zum Zuhören bringen. Aber
wenn ich meine Geschichte hier jetzt erzähle, denke ich natürlich auch an all
jene, die die Musketenkugeln, die Haie und Albträume nicht überlebt haben, an
all jene, die nie einen Zuhörer gefunden und auch nie eine Feder oder ein
Tintenfass angerührt haben.
Das Schiff
war ein schwimmendes Tier. Es schaukelte hin und her wie ein Esel, der die Last
auf seinem Rücken loswerden wollte, und kletterte die Wellen hinauf wie ein
verrückt gewordener Affe. Es hatte einen unstillbaren Appetit und verschlang
uns alle: Männer, Frauen und Kinder. Und mit uns kamen Elefantenzähne, Säcke
voller Jamswurzeln und alle möglichen anderen Güter, die von den Heimatländern
in Netzen an Bord gehievt wurden. Durch das Stöhnen der Gefangenen, die Rufe
der Toubabu und
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