Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
Vom Netzwerk:
Tiefes Leben sang aus ihr.
    Als ich aus meinem
langen Schlaf auftauchte, hing mir ein raues Kleid von den Schultern, und die
Frau, die mir in ihrem Bett Schutz geboten hatte, nahm mich bei der Hand, um
die Leute zu begrüßen, die unter den Strohdächern lebten. Die Männer starrten
mich verwundert an, manche berührten meine Handgelenke und sagten Worte, die
ich nicht verstand. Die Frauen fassten mich bei den Schultern, drückten mich an
sich und fuhren mit den Fingern über die Monde in meinem Gesicht. Sie lachten
wie irrsinnig und brachten Kalebassen mit Wasser, gekochten Maisbrei und
manchmal auch Fleisch. Ich roch an dem Fleisch und wandte den Kopf ab. Schweinefleisch.
Die dickarmige Frau, bei der ich schlief, fing ein Huhn aus einem Pferch, hielt
es in die Höhe und zeigte auf meinen Mund. Ja, nickte ich. Huhn würde ich
essen. Aber nein, ich zeigte auf das große Tier mit dem platten Rüssel in der
Suhle daneben. Das nicht. Kein Schwein.
    Drei Männer kamen aus
einer Hütte, und ich sah, einer war Fomba. Seine Augen wurden ganz groß, und
ich lief zu ihm. Er fühlte sich robust und stark an. Er hatte gegessen. Er
öffnete den Mund und wollte meinen Namen sagen, aber es kam kein Laut daraus
hervor.
    »Fomba«, sagte ich zu
der Frau. »Das ist Fomba, aus meinem Dorf Bayo.«
    Sie lächelte. Sie
schien sich nicht zu fragen, was ich ihr da wohl sagte. Es war ihr gleich, und
ich wusste, warum. Ich wusste genau, warum. Sie war eine Negerin, aber sie kam
nicht aus meiner Heimat. Sie war hier geboren, das hier war ihr Zuhause, und es
war nicht ihre Sache, mich zu verstehen. Ich musste lernen, sie zu verstehen.
Ich konnte nirgends hin und nichts tun, bevor ich nicht lernte, mit dieser Frau
zu sprechen. Und ich musste es nicht nur für mich, sondern auch für Fomba
lernen.
    Als wir zurück zu
unserer Hütte kamen, setzte mich die Frau auf einen Holzstumpf vor der Tür und
sprach langsam zu mir. Sie nahm meine Hand in ihre, die doppelt so groß war wie
meine. Sie hatte abgebrochene Nägel, verschwielte Finger, und die Haut war
knittrig wie ein ausgetrocknetes Bachbett. Sie klopfte auf meine Hand, fuhr mir
mit dem Finger über die Brust und legte ihre Hand auf meine Schulter. Dann grub
sie einen Finger in ihre eigene Brust, sagte: »Georgia«, und öffnete ihre Hände
in meine Richtung.
    »Aminata«, sagte ich zu
ihr.
    Dreimal musste ich es
wiederholen, aber alles, was Georgia herausbrachte, war »Meena«. In diesem
neuen Land war ich eine Afrikanerin. In diesem neuen Land hatte ich einen
anderen Namen, den mir jemand gab, der mich nicht kannte. Einen Namen für das
zweite Leben eines Mädchens, das die Reise über den großen Fluss überlebt
hatte.
    Die Monde
kamen und gingen. Die Luft wurde wärmer und schwerer. Mücken summten wütend und
landeten in meinen Ohren, zerstachen mir Waden, Rücken und Nacken.
    Wir mussten arbeiten, »albees, albees, albees« , wie Georgia sagte. Albees hieß immer , und das hieß, wie ich herausfand, an
sechs von sieben Tagen. Es gab Schweine zu füttern und zu schlachten. Hühnern
mussten die Eier weggenommen werden, aus Asche und Lauge wurde Seife gemacht.
Kleider waren zu waschen und zu flicken. Robinson Appleby, der
Toubab-Häuptling, war die meiste Zeit weg, und seine Frau kam nur höchst selten
mit ihm auf die Plantage. Wenn Appleby nicht da war, wohnte ein anderer Toubab
im großen Haus und überwachte unsere Arbeit. Aufseher war eines der ersten Worte, die ich
lernte. Aber nicht länger als einen Mond oder zwei nachdem Appleby weggefahren
war, starb der Aufseher, und Appleby kam zurück. Als er ein paar Tage später
wieder fuhr, hatte Mamed, der Neger mit dem Schlagstock, die Aufsicht. Mamed
hatte zwei Helfer, und sie alle hatten Feuerstöcke, Knüppel und Peitschen. Die
meiste Zeit gab es keine Toubabu auf der Plantage, nur fünfzig Neger, die von
einem Neger-Aufseher und seinen beiden Neger-Helfern überwacht wurden. Aber
obwohl kein Toubab da war, versuchte niemand von der Insel zu fliehen.
    Georgia nahm mich
überallhin mit, redete die ganze Zeit und benannte geduldig alles, was sie tat.
Sie sammelte lange Gräser und flocht Körbe daraus. Wenn die Männer ihr Opossums
brachten, zog sie den Tieren das Fell ab. Wenn andere mit Schildkröten kamen,
sah ich zu, wie sie in der Suppe landeten. Die Panzer lösten sich leicht, wenn
sie gekocht waren. Georgia sammelte unablässig Blätter, Beeren und Wurzeln.
»Holunder«, sagte sie eines Tages, als sie eine große blattreiche Pflanze

Weitere Kostenlose Bücher