Ich habe einen Namen: Roman
Lippen und Nase waren
schmal und die Augen bläulich mit winzigen orangefarbenen Sprenkeln um die
Pupillen. Weiße Menschen hatten komische Augen mit den seltsamsten Farben, und
nicht ein Paar glich dem anderen. Die Augen von Solomon Lindos Frau waren
freundlich. Sie sah nicht aus wie eine Frau, die eine Peitsche benutzte.
»Meena«, sagte sie.
»Spreche ich es richtig aus?«
Sie hatte eine hohe
Stimme, wie ein erregtes Kind.
Ich schluckte. Sie war
die erste Weiße, die meinen Namen bereits kannte, als wir uns kennenlernten.
»Ich bin Mrs Lindo, und
ich freue mich so, dich endlich kennenzulernen. Mr Lindo hat mir alles über
dich erzählt. So jung und so intelligent.«
Ich war nicht sicher,
ob es klug wäre, ihr noch einmal in die Augen zu sehen, und so senkte ich den
Kopf.
»Setz dich doch bitte«,
sagte Mrs Lindo. Ich setzte mich auf einen rosa Stuhl mit einem dicken Kissen
und einer aufrechten Lehne. »Es ist so sündheiß«, fuhr sie fort. »Möchtest du
etwas trinken?«
Ich wusste nicht, wie
ich darauf antworten sollte, aber sie redete, als wäre ich ihr Gast. Zu Hause
war es eine Beleidigung höchster Ordnung, Essen oder Trinken zurückzuweisen.
Also nahm ich ihr Angebot an. Als ich das dünne Glas an meine Lippen brachte,
erfasste die Süße den hinteren Teil meines Mundes, als wollte sie sagen: Das werden wir dich nicht vergessen lassen .
»Ich hoffe, du magst
Zitronen-Cordial«, sagte Mrs Lindo. Sie redete über das Haus, ihr Leben, wie
geschäftig Charles Town sei und wie sehr sie sich darauf gefreut hätten, dass
ich zu ihnen käme. Während sie immer weitererzählte, fragte ich mich, wo die
Neger waren und wann mir meine Schlafstelle gezeigt werden würde.
Eine Welle der
Erleichterung erfüllte mich, als eine Negerin mit geschwollenem Leib in der Tür
erschien. Ich nahm an, dass sie noch fünf Monate vor sich hatte.
»So«, sagte die
schwarze Frau, »hat sie jetzt mein’ Platz?«
»Sag das nicht, Dolly«,
sagte Mrs Lindo. »Mr Lindo und ich haben dir bereits erklärt, dass dir niemand
deinen Platz wegnehmen wird.«
»Jetzt, wo ich’n Baby
im Bauch hab, kommt dies hübsche Ding und nimmt mein’ Platz ein.«
»Meena wird dir mit dem
Baby helfen«, sagte Mrs Lindo. »Mr Lindo sagt, Meena hat schon viele Babys auf
die Welt gebracht.«
Dollys Lippen stülpten
sich ungläubig vor. »Dies kleine Lamm? Mein Baby auf die Welt bring’n?«
Ich rechnete damit,
dass Dolly Schläge angedroht würden, aber Mrs Lindo seufzte nur.
»Das reicht jetzt.
Bitte, zeig Meena ihre Unterkunft. Und sei nett zu ihr. Wenn nicht, verlierst
du deine Privilegien. Den Markt, die extra Kleider und deinen freien Samstag.
Ist das klar?«
»Ja, Ma’m«, sagte
Dolly, und ich folgte ihr aus der Tür.
Hinter dem
Haus lag ein Garten mit einem Magnolienbaum, einigen Obstbäumen und einer
Eiche. Dahinter stand ein zweistöckiges Holzhaus, das mir für zwanzig Leute zu
reichen schien. Wir traten ein, und ich sah, dass es einen Dielenboden hatte.
Kein Schmutz, keine Erde, kein Wasser zwischen meinen Zehen. Ich sah Kerzen und
ein Bett mit Stroh.
»Wer wohnt hier?«
»Angeheuerte Männer,
wenn die Lindos sie brauch’n.«
»Angeheuerte?«
»Die Lindos bezahl’n
sie für ihre Arbeit, manchmal. Die Sklaven von and’ren Leuten, die sie an die
Lindos vermieten.«
Ich nickte. Ich glaubte
zu verstehen.
Dolly führte mich eine
hölzerne Treppe hinauf. Oben sah ich ein Zimmer, das größer war als alles,
worin ich je geschlafen hatte.
»Das iss mein Zimmer«,
sagte Dolly, »aber jetzt schläfs’ du auch hier.«
Zwei Betten aus
hölzernen Planken standen auf etwa zwei Handbreit hohen Füßen. Stroh lag auf
den Planken und darüber waren Decken geworfen. Wir hatten so viel Platz, dass
es einsam schien mit nur zwei Leuten. So ein Ort wäre glücklicher mit Georgia
und noch zwei, drei anderen Frauen gewesen, die lachen konnten und sich
gegenseitig die Haare kämmten.
»Ich koche«, sagte
Dolly, »und geh zum Markt. Wenn du mir das wegnimms’, werf’n sie mich raus.«
»Sie werfen dich raus?
Bist du nicht ihre Sklavin?«
»Sie verkauf’n mich
nach Georgia«, sagte sie.
»Hab keine Angst. Ich
koche nicht.«
»Du kochs’ nich?«,
sagte sie. »Was für’ne Frau biss du?« Sie musterte mich sorgfältig und sagte
schließlich: »Biss du wirklich Afrikanerin?«
»Ja.«
»’ne reine Afrikanerin?
Direkt vom Schiff?«
»Ich bin aus Afrika«,
sagte ich.
»Wie’s Mrs Lindo sagt«,
sagte sie. Ich nickte. »Ich hab
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