Ich, Heinrich VIII.
aufstochern. »Ich kann es nicht sagen. Ich weiß nur, dass Kingston böse Ahnungen in mir weckt. Das fühle ich.«
»Ist es der Ort? Der Name? Was hätte Kingston?«
Er schüttelte den Kopf. Ich bemerkte, dass er den Ansatz eines Doppelkinns zeigte. Er war eigentlich kein junger Mann. Er hatte seinen Aufstieg zur Macht schon früh begonnen, aber mehrmals mit dem falschen Bein. »Ich weiß es nicht. ›Kingston‹. Gibt es in Eurem Leben nichts dergleichen?«
»Eine Vorahnung? Nein. Einen Gegenstand oder einen Ort, der Gutes oder Böses mir zu künden schiene, gibt es nicht. Die Zukunft ist mir verschleiert.«
»Ihr habt Glück, Eure Majestät.« Es war das erste Mal, dass ich den Ausdruck echter Melancholie in seinem Antlitz wahrnahm.
Katharinas Stunde nahte, und alles war bereit. Sie und ihre Hofdamen waren mit den Vorbereitungen für das Kind zum Ende gekommen, und in Richmond Palace sollte das Wochenbett stehen. Ich hatte die besten Ärzte beschafft, die ich hatte finden können; sogar einen Araber hatte ich als Berater in Dienst genommen – denn gewisse Gegenden in Nordafrika waren als erstklassige Zentren der Medizin berühmt, und Al-Ashkar hatte dort studiert. Man besaß dort, hieß es, Manuskripte von Galen und anderen griechischen Heilkundigen, und hatte Zugang zu einem Wissen, welches uns verschlossen war. Das Wissen aber, das ich benötigte, war kein esoterisches, sondern ein höchst fundamentales: Wie man nämlich einen lebenden Sohn zur Welt brachte.
Mitte September, am Vorabend von Christi Kreuzerhöhung, setzten die Wehen ein, und man geleitete sie in die Wochenstube, die bereits mit allen pharmazeutischen Hilfsmitteln und chirurgischen Instrumenten ausgerüstet worden war, die der medizinischen Wissenschaft bekannt waren. Dort legte sie sich auf goldlackgetränktes Linnen (der Saft des Goldlack linderte bekanntlich den Geburtsschmerz); mit der Rechten umklammerte sie Dr. Linacres Hand, mit der Linken die des Dr. de la Sa, ihres spanischen Arztes, und tapfer ertrug sie jede Wehe, und ihre Lippen bewegten sich beständig im Gebet. Als man ihr ein Betäubungsmittel bot, wies sie es zurück und hielt stattdessen den Blick starr auf das Kruzifix an der gegenüberliegenden Wand gerichtet.
Während alledem wartete ich in der äußeren Kammer, und Brandon hielt mit mir die Wacht. Ich war stumm wie Katharina und betete ebenso eindringlich wie sie. Meine Gebete begannen mit geziemenden, steifen Sätzen. O Herr, allmächtiger Gott, gewähre mir, ich bitte Dich, einen Sohn für mein Reich. Aber als Stunde um Stunde verstrich und Linacre kopfschüttelnd herauskam, verwandelten sie sich in wilde, stumme Schreie. Hilf ihr, hilf mir, schenke uns ein Kind, ich flehe Dich an, bitte, ich werde alles tun, jede Tat vollbringen, ich gehe auf einen Kreuzzug, ich will Dir dieses Kind weihen wie Samuel, hier bin ich, Herr, schicke mir …
»Es ist vorüber.« Linacre ließ die Tür weit aufschwingen. Ich sprang auf.
»Ein Sohn«, sagte er. »Er lebt.« Er winkte mir, ihm zu folgen.
Katharina lag auf dem Rücken wie ein Leichnam auf der Bahre. Sie rührte sich nicht. War sie … hatte sie …?
De la Sa massierte ihr den Leib, der immer noch gedehnt und aufgeschwollen war. Ein mächtiger Schwall von schwärzlichem Blut schoss jedes Mal, wenn er drückte, zwischen ihren Beinen hervor und wurde in einer Silberschale aufgefangen. Das Blut war klumpig von Geronnenem. Katharina stöhnte und regte sich.
»Das Kind.« Linacre streckte die Hand aus, und ich löste meinen Blick von dem grotesken Grauen auf dem Bett, von meinem schmerzgequälten, verwundeten Weib. Maria de Salinas Willoughby badete das Kind und wusch Schleim und Blut von ihm ab.
Er war so winzig. Winzig wie ein Kätzchen. Zu klein zum Leben, das wusste ich im selben Augenblick.
»Wir hielten es für das Beste, ihn sogleich taufen zu lassen«, sagte Linacre. »Deshalb haben wir nach einem Priester gesandt.«
Ich nickte im Bewusstsein dessen, was er da zugab. Tauft ihn rasch, bevor er stirbt. Keine Zeremonie. Der nächstbeste Priester genügt.
Ein junger Geistlicher erschien von draußen; er war aus der königlichen Kapelle herbeigeeilt, wo er niedere Dienste zu verrichten hatte. Er rückte noch seine Gewänder zurecht und trug einen Behälter mit Weihwasser bei sich.
»Beginnt«, befahl ich. Maria hatte das Kind unterdessen abgetrocknet und in eine Decke gehüllt.
»Sein … Kleid«, protestierte Katharina matt.
»Sie meint das Taufkleid, das sie für
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