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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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sie, und ein Lächeln maskierte ihre Entschlossenheit.
    »Wollen wir nach unten gehen?« Ich nahm ihre Hand und führte sie unter Deck, wo uns die königliche Empfangskajüte erwartete, mit allerlei Annehmlichkeiten ausgestattet – deren geringste es nicht war, dass wir vor den Ohren über uns abgeschirmt waren.
    Wir ließen uns auf seidenen Polstern nieder: zwei Fremde.
    »Du bist also deinem Herzen gefolgt«, stellte ich schließlich fest; ich wusste nicht, was ich sonst hätte sagen sollen. »Wie du es angedroht hast.«
    »Ich liebe ihn!«, rief sie aus. »Ich liebe ihn, ich liebe ihn, ich habe ihn schon als Kind geliebt!«
    Die Ruder draußen tauchten mit schlürfendem Geräusch ins Wasser und hoben sich wieder.
    »Siehst du denn nicht, was er ist? Ein Schürzenjäger, jemand, der sämtliche Schliche kennt und genau weiß, wie man ein ahnungsloses Herz gewinnt.«
    »Ach ja?« Ihr Gesicht nahm einen überlegenen, triumphierenden Ausdruck an. »Und was hat er gewonnen, indem er mich heiratete? Die Verbannung vom Hofe und den Verlust deiner Gunst.«
    »Gewonnen hat er Englands schönstes Juwel.«
    »Und deine höchste Trumpfkarte. Wer ist hier berechnend, Bruder?«
    Ich musste es zugeben. Ja, ich war schlimmer als Brandon. Er hatte Maria gesehen und sich in sie verliebt, und er hatte meinen Zorn und die Verbannung vom Hofe riskiert. Ich hatte darin nur den Verlust einer Trumpfkarte gesehen. Wann war ich so geworden? Ich hasste mich.
    Aber ich war ein Realist. Ein König, der kein Realist war, betrog sein Volk.
    Ein leuchtender Schaumbogen, Gischt: Die Themse schwoll an uns vorüber. Ich sah York Place an Backbord. An den Stufen, die von Wolseys Residenz zum Wasser herunterführten, flatterten Fahnen fröhlich im Wind und luden jeden Würdenträger ein, zu landen und hier festzumachen.
    »Bist du schwanger?«, fragte ich unvermittelt.
    »Ja.« Ihre Stimme veränderte sich. »Es muss beim ersten Mal passiert sein. Als er zu mir in die kleine Kammer in Cluny kam, wo ich gefangen gehalten wurde.«
    Erspare mir den Bericht; ich will nichts davon hören; nein, es ist nicht das Hören, es ist die Vorstellung, und ich kann sie doch nicht unterdrücken … Jesus, erlöse mich, quäle mich nicht länger … Es ist eine unerträgliche Qual, dass ich versuche, mir vorzustellen, was außerhalb meiner Vorstellungskraft liegt und was ich mehr als alles andere ersehne. Die Tür, die sich für mich nicht öffnen kann.
    »Ich wünsche dir Glück.« Ich nahm ihre Hände. »Ich wünsche einem von uns Tudors Glück. Nur einem, damit ich das Gefühl haben kann, dass einer entkommen ist. Wir sind keine glückliche Familie, alles in allem.«
    Mutter. Arthur. Margaret. Und jetzt auch ich selbst, Heinrich VIII. von England, kinderlos.
    »Das Leben insgesamt ist nicht glücklich. Nur mancher Augenblick ist es. Dies ist mein Augenblick. Er wird vorübergehen.«
    Also durfte ich ihn ihr nicht länger missgönnen.
    »Deiner wird kommen«, sagte sie.
    Sie war gütig, und sie liebte mich, aber sie verstand mich nicht. »Aye.« Ich nickte.
    »Und vorübergehen, wie der meine.«
    »Vergiss das Vorübergehen!«, rief ich verdrossen. »Wenn du an das Vorübergehen denkst, tötest du, was lebendig ist! Hör auf damit, ich befehle es dir!«
    Sie lachte. »Als mein König?«
    »Als dein König.«
    »Du kannst nicht befehlen, was sich nicht beherrschen lässt«, antwortete sie. »Weißt du das nicht?«
    Jetzt waren wir auf der Höhe von Blackfriars, dem großen, weit verzweigten Kloster der Dominikaner. Bald würde die London Bridge mit ihren neunzehn Pfeilern vor uns aufragen, und wir würden durch das reißende, wirbelnde, weiße Wasser schießen.
    »Nein. Ich versuche immer, zu befehlen und zu beherrschen. Das ist meine Pflicht.«
    »Armer Heinrich.« Sie lachte, und dann kam es: das gewaltige Beben der Barke, als das Wasser sie packte, von ihr Besitz ergriff, sie zwischen den Pfeilern der Brücke stromab wallen ließ. Obwohl die Tür fest verschlossen war, sickerten rings am Rahmen Rinnsale herein und tröpfelten über die teppichbedeckten Stufen herab.
    Dann, ganz plötzlich, war es ruhig. Gespenstisch ruhig. Wir waren auf dem Teil des Flusses angelangt, der jenseits der Brücke lag und wo die Themse plötzlich zu einem heiteren Gewässer für jedermann wurde. Kähne und Ruderboote durchpflügten das Wasser, Schänken, Docks und Werften säumten das nördliche Ufer. Dahinter ragte grimmig der weiße, rechteckige Klotz des Tower empor.
    Greenwich

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