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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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Palace erstreckte sich am Südufer, und Möwen kreisten darüber. Es war ein Meerespalast, einer, der eher mit fremden Orten und Fluten verbunden zu sein schien als mit London.
    Wir waren fast da. Ich sah die Landungsbrücke, und der Bootsmann stand bereit, uns willkommen zu heißen und die Barke zu vertäuen.
    »Maria, dieser Franz«, sagte ich plötzlich, »wie ist er?«
    »Ein Teufel«, sagte sie. »Mit lächelndem Gesicht und langem Rüssel. ›Le Roi Grand Nez‹ nennen sie ihn.«
    »Wie groß ist er? Ist er so groß wie ich?«
    »Ja. Er hat etwa deine Größe.«
    Unwahrscheinlich. Ich war ungewöhnlich groß.
    »Und hat er … wie sind seine Beine?« Ich wollte wissen, wie ist sein Körper – ist er stark und muskulös, schwach und dürr, fett und weich? Ist sein Körper so gut wie meiner?
    »Ich habe mir den Genuss ihres Anblicks versagt«, erwiderte sie.
    »Aber gewiss kannst du doch sagen …«
    »Juwelenbesetzte Gewänder und gut geschnittene Kleider verhüllen körperliche Mängel«, sagte sie. »Dazu sind sie da.«
    Sie warfen die Landungsleinen aus. Es war keine Zeit mehr für eine Antwort, eine ehrliche Antwort.
    »War er ein Mann?«, rief ich.
    Sie sah mich verblüfft an.
    Die Barke stieß dumpf gegen gepolsterte Pfähle. Wir waren da.
    »Alle Männer sind Männer«, antwortete sie. »Mehr oder weniger.«

XXV
    D er Herzog und die Herzogin von Suffolk gingen, und Wolseys Kardinalshut kam. Der Hut, verliehen von Leo X., traf in Dover ein, in einem fürstlichen Kasten verwahrt und von einer gesegneten Goldrose begleitet, die mir wegen meiner Treue zum Geschenk gemacht wurde. Wolsey veranlasste, dass er mit aller gebührenden Ehrerbietung nach London übermittelt wurde, wo der Abt der Westminster Abbey ihn willkommen hieß. Sodann wurde der Hut auf den Hochaltar der Paulskathedrale gelegt und schließlich – in einem dramatischen Schauspiel, dazu angetan, das Auge zu blenden – auf Wolseys Haupt gesetzt, wo er vor dem altersgrauen Mauergestein scharlachrot leuchtete. Der Gesang des Chores umrahmte den Augenblick mit göttlicher Billigung.
    »Ihr seht, was für eine Schlange Ihr an Eurem Busen genährt habt«, bemerkte Katharina, die steif an meiner Seite stand. »Er glitzert und schillert just wie die Kreatur aus dem Garten Eden.«
    Eine prachtvolle Metapher. Wolseys Seidengewand schillerte in der Tat im flackernden Kerzenlicht. Aber er war zu rundlich, als dass er für eine Schlange hätte gelten können. Das sagte ich auch mit leiser Stimme, übertönt vom Choralgesang.
    »Dann eben wie ein Dämon«, sagte Katharina. »Wenn Satan auch selbst von schlanker Gestalt ist, so müssen doch einige seiner niederen Dämonen gefräßig sein. Genau wie ihre Gegenstücke auf der Erde.«
    »Ach, Katharina.« Sie hasste Wolsey mit solcher Unvernunft und machte ihn verantwortlich für alle Veränderungen in mir, während er sie in Wirklichkeit nur ermöglicht hatte; ihren Ursprung hatten sie doch in mir.
    »Wie lange werdet Ihr noch warten, bevor Ihr ihn zum Lordkanzler ernennt? Wird es ein Weihnachtsgeschenk werden?«
    Zum Teufel mit ihrem Scharfblick! Tatsächlich hatte ich für den Dezember eine Feier geplant, um die Verleihung des Kardinalshutes durch schickliche zwei Monate von der Ernennung zum Kanzler zu trennen. Erzbischof Warham war alt und wollte sich zur Ruhe setzen. Aber was entscheidender war: Ich hörte in politischen Fragen nicht mehr auf ihn und zog seine Meinung nicht länger in Betracht, und deshalb war er in seinem Amte nutzlos geworden.
    »Es ist kein Geschenk. Er hat es verdient.«
    Katharina antwortete nicht; sie bedachte mich nur mit einem vernichtenden Blick voller Verachtung. Ich wollte deshalb aber nicht mit ihr zanken. Ich hielt das Versprechen, das ich mir selbst gegeben hatte: niemals wieder mit ihr zu streiten, sie zu verletzen oder in Aufruhr zu stürzen. Ihre neuerliche Schwangerschaft musste ungestört verlaufen, selbst wenn es bedeutete, das verbitterte und von unlogischem Groll erfüllte Gefäß, in welchem die Leibesfrucht ruhte, zu verhätscheln und verzärteln.

    Mein neuer Lordkanzler hatte vieles zu besprechen in jenem Februar 1516. Die Weihnachtsfeierlichkeiten waren vorbei und vergessen. Erzbischof Warham hatte sein Amt mit Anstand aufgegeben und sich nach Canterbury zurückgezogen, um dort seinen geistlichen Pflichten nachzugehen, und Wolsey hatte den Mantel des höchsten politischen Amtes im Reich angelegt und bekleidete zugleich den höchsten kirchlichen Rang als

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