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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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die aussah wie ein Kind. Ich winkte dem Wächter, sie durchzulassen.
    Sie war kleiner, als ich sie in Erinnerung hatte. Und schöner. Als ich auf sie zukam, lächelte sie – dieses seltsame, bezaubernde Lächeln. Sie schob sich an dem Wächter vorbei, kam zu mir und versank in einem Knicks. Dann erhob sie sich wieder.
    »Ihr habt mich rufen lassen?« Ihre Stimme klang ehrlich ratlos – oder es gelang ihr doch, sie so klingen zu lassen.
    »Ja.« Ich wandte mich um und winkte ihr, mir außer Hörweite der Wache zu folgen. Der Mann stand da und starrte uns aufreizend an, die Beine unnatürlich gespreizt. Offenbar glaubte er, es lasse auf ein gewisses Maß an Soldatentum schließen, wenn er in dieser angestrengten Pose dastand.
    Ich war anscheinend entschlossen, mich auf solche irrelevanten Einzelheiten zu konzentrieren, sie zu analysieren und zu kommentieren – in meinen Gedanken zumindest. Wieso brachte ich jetzt, da Mistress Boleyn endlich, nachdem ich monatelang von ihr fantasiert hatte, hier zugegen war, dieses perverse Interesse dafür auf, wie ein namenloser Gardesoldat seine Füße postierte?
    Ich wandte mich nach ihr um. Sie schaute zu mir auf. Bloß ein Mädchen, war mein flüchtiger Gedanke. Das Gesicht faltenlos, die Augen ohne Ausdruck und … leer? Dann: eine Göttin. Über jedes Maß der Vorstellung hinaus schön. Und diese Augen waren nicht leer, sondern sie verbargen namenlose Freuden.
    »Sire?« Wieder neigte sie den Kopf und zeigte mir den glatten Scheitel in ihrem Haar, das so schwarz war wie eine Rabenschwinge. Als sie wieder aufblickte, zeigte ihr Antlitz noch immer diesen ratlosen, verwirrten Ausdruck.
    Genug davon!, war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss. Vorsicht! war der zweite. Infolgedessen war das, was ich schließlich sagte, eine verworrene Mischung aus beidem.
    »Wir sind erfreut darüber, dass Ihr zum Hofe zurückgekehrt seid. Wir brauchen Euch hier.«
    »Ist es das königliche ›Wir‹ oder ein einfacher Plural?«
    Ihre Kühnheit überstieg jedes erträgliche Maß! Ich starrte sie einen Augenblick lang an. Dann gab ich eine ehrliche Antwort. Warum auch nicht? »Das königliche ›Wir‹. Ich brauche Euch hier. Passt Euch das besser?«
    Sie zog es vor, diese unmittelbare Frage zu übergehen, ein Vorrecht, das derjenige, der weniger liebt, stets in Anspruch nimmt. »Wozu könntet Ihr mich brauchen, Euer Gnaden?«
    Das Mädchen – nein, sie war kein Mädchen, das spürte ich jetzt, sie war etwas anderes, etwas, das ich nicht kannte –, sie sah in mir nicht den König, sondern den Mann. Jemanden, dem man widersprechen, den man tadeln konnte, wie es vor langer Zeit andere mit mir getan hatten. Es war ein vertrautes Gefühl – und ein verletzendes.
    »Ich will, dass du meine Frau wirst«, hörte ich mich zu dieser Fremden sagen. Aber das war es, was ich die ganze Zeit hatte sagen wollen.
    Und dann erscholl das Gelächter – schrill, hässlich. Und sie kehrte mir den Rücken zu: Gelber Samt umhüllte die schmalen Schultern und Hüften.
    Der strammstehende Gardesoldat starrte uns jammervoll an und stieß mannhaft mit seinem Spieß auf den Boden, wie um uns daran zu erinnern, dass er noch zugegen sei und uns vor allem Übel beschütze. Dieser Narr!
    »Hinaus!«, schrie ich ihn an. Er hastete davon.
    Ich wandte mich zurück zu Anne und sah, dass sie mich wieder ansah, noch immer mit einem seltsam verschmitzten Lächeln auf dem Gesicht.
    »Eure Frau?«, fragte sie. »Ihr habt schon eine Frau. Königin Katharina.«
    »Sie ist nicht meine Frau! Nicht meine rechtmäßige Frau! Wir haben gesündigt …« Und ehe ich mich versah, brach die ganze Geschichte meiner wachsenden Schuld aus mir hervor, und ich offenbarte mich selbst und alle meine Gedanken diesem sonderbaren Mädchen, das mir mehr Mitgefühl und zugleich mehr Hohn entgegenzubringen schien als irgendjemand sonst.
    »… und deshalb«, endete ich, »irrte der Papst, als er uns den Dispens zur Ehe gewährte. Folglich sind wir nicht verheiratet, und vor den Augen Gottes waren wir es auch nie. Und der jetzige Papst wird das anerkennen.«
    Sie schien mich nicht gehört zu haben. Besser gesagt, sie schien mir nicht zu glauben. Ihr längliches Gesicht starrte mir entgegen, als rezitierte ich den Text irgendeines obskuren Gesetzes aus der Zeit Heinrichs I., das für sie weder von Bedeutung noch von Interesse war.
    Schließlich bewegten sich ihre Lippen, und sie sprach. »Wann?« Ein einfaches, verheerendes Wort.
    »Sofort«,

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