Ich, Heinrich VIII.
freilich noch jemanden. Was ist mit Warham? Er ist immerhin Erzbischof von Canterbury.«
»Ausgezeichnet«, wiederholte ich. Dies war mein erster – und folgenschwerster – Schritt auf dem Wege, für den ich mich entschieden hatte. Der erste Schritt ist immer der schwerste. Danach wird alles so viel leichter.
Wolsey brachte den Fall meiner Besorgnis erregenden Eheverhältnisse vor ein »geheimes« Untersuchungsgericht. Er und Warham würden die Fakten studieren und dann erklären, die Ehe sei in der Tat ungültig. Diese Erklärung würde man sodann an Papst Klemens übermitteln, und dieser würde routinemäßig die Annullierung der Ehe aussprechen. So simpel, so einfach. Warum verlief dann nichts davon so, wie wir es geplant hatten?
Das Gericht kam Ende Mai 1527 in Westminster zusammen. Wolsey als legatus a latere, Vertreter des Papstes, und Erzbischof Warham als Assessor, führten den Vorsitz in dem Tribunal, und Richard Wolman war mein Rechtsanwalt. Ich hegte hochfliegende Hoffnungen, die sich nicht bewahrheiteten. Ihre so genannten »Untersuchungsergebnisse« besagten, dass die Umstände meiner Heirat in der Tat zweifelhaft seien, und das Ganze müsse daher an bedeutsamere Geister, vorzugsweise in Rom, verwiesen werden. Der Papst müsse den Fall gründlich prüfen und unabhängig zu einer Entscheidung gelangen. Mit anderen Worten, der Fall musste nun an die Öffentlichkeit.
Will:
Da war er schon, ohne dass Heinrich es wusste. Gerüchte von »des Königs großer Sache« (wie die Annullierung euphemistisch genannt wurde) machten unter dem gemeinen Volk allenthalben die Runde. Jeder Fährmann, jede Dirne schien zu wissen, dass der König von seiner Frau befreit werden wollte. Jeder außer derjenigen, die von dieser Sache am meisten betroffen war – Königin Katharina selbst.
Heinrich VIII.:
Als Will, mein Narr, mir mit schamrotem Gesicht einen großen Londoner Bilderbogen brachte, auf dem mein Ehebett und das Gerichtsverfahren dargestellt war, packte mich Entsetzen. Dann begriff ich: Wenn das gemeine Volk Bescheid wusste, musste auch Katharina davon gehört haben! Ich würde mit ihr darüber sprechen müssen – was umso peinlicher war, als ich sie seit vierzehn Tagen nicht mehr gesehen hatte. Sie widmete sich in wachsendem Maße ihren mildtätigen Werken und ihren privaten Andachten, wobei ich sie natürlich nicht zu stören wünschte. Überdies war ich, wie ich gestehen muss, so sehr mit meinen Gedanken bei Anne gewesen, dass ich fast nicht zu mir kam.
Katharina mitzuteilen, dass sie nie meine Frau gewesen war, würde sie arg verletzen, und in eine fromme Natur wie sie würde ein großer Schrecken fahren. Ich stärkte mich mit einem großen Becher Wein, ehe ich mich auf den Weg in ihre Gemächer machte.
Im Korridor war es unnatürlich leer. Sonst trieben sich hier stets Scharen von Bediensteten herum, die ihre neuesten Samtwämse zur Schau trugen. Heute war keine Menschenseele zu sehen. Waren sie alle auf der Jagd? Ich befühlte meinen Nacken; er war schon feucht vom Schweiß. Ich wünschte mir, ich wäre ebenfalls auf der Jagd; ich wünschte mir, ich wäre irgendwo – nur nicht hier. Der Gardesoldat öffnete mir die Tür zu den äußeren Gemächern der Königin.
Dort ging ich auf und ab. Ich wollte sie sehen. Ich wollte sie nicht sehen. Endlich winkte man mir. Demütig trottete ich hinter Katharinas Zofe drein. Im Hinterkopf erinnerte ich mich daran, dass diese Person einer Königin diente, die in Wirklichkeit keine Königin war. Ich hatte sie in den Glauben versetzt, sie sei eine, wie ich es ja auch selbst geglaubt hatte.
Ich stand Katharina gegenüber. Sie war bei ihrer Andacht gewesen und offensichtlich verärgert über die Störung. Nach der Messe pflegte sie immer eine Stunde kniend auf dem Steinfußboden zu verbringen und sich mit ihrem Schöpfer zu besprechen.
»Ja, mein König?«, fragte sie, als sie mir entgegenkam. Sie raffte ihre weiten Röcke mit beiden Händen zusammen. Sie kleidete sich noch immer nach der Mode Spaniens, wie sie ausgesehen hatte, als sie dort weggegangen war. Einen flüchtigen Augenblick lang dachte ich an Anne und ihre modischen Kleider, doch dann schob ich das Bild beiseite.
»Ich muss also jetzt um eine Audienz bei meiner Katharina einkommen?« Ich lachte. Aber weshalb versuchte ich, zu scherzen?
»Ihr wisst, zu welcher Stunde ich meine Andacht …«, begann sie.
»Stets zur selben, Madam«, versetzte ich.
Sie starrte mich erzürnt an. Ich starrte sie erstaunt
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