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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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Formalität … ich liebte sie immer noch … ich wollte, dass sie meine Frau bleibe …
    Die Tränen flossen weiter. Ich wusste nicht mehr, was ich dachte, was ich wollte. Ich floh aus ihren Gemächern, suchte nach einem stillen Zufluchtsort.
    Die Tränen. Warum musste es immer Tränen geben? Und warum war ich geflohen?

    Die nächsten Monate kosteten mich große Kraft. Ich war nicht verheiratet, aber ich war auch kein Junggeselle. Meine erste Frau war verzweifelt, meine zukünftige Frau war ungeduldig und erbost. Wolsey hatte versagt. Sein brillanter Plan mit dem »geheimen Tribunal« in England war fehlgeschlagen. Schlimmer als das: Er hatte ganz England – nein, ganz Europa – auf meine Lage aufmerksam gemacht, ohne mich der Lösung näher zu bringen.
    Und wie sollte ich unterdessen leben? Mit Katharina? Im Zölibat? Anne blieb steinhart: Sie würde nur als meine Gemahlin das Lager mit mir teilen.
    Also lebte ich zölibatär. Jetzt verstehe ich diejenigen, die behaupten, dieser Zustand erhöhe das Bewusstsein und die Selbstbeherrschung. In den sechs Jahren meines Zölibats – sechs Jahre! – wurde ich ein anderer. Entschlossener, stärker gegen mich selbst. Man bekommt das seltsame Gefühl, über sich selbst zu herrschen – und infolgedessen auch über andere. Ich war endlich ein wahrer König.

XXXVIII
    T äglich wandelten Anne und ich durch den Garten, vor allem durch den Laubengang, an dem sie besonderen Gefallen gefunden hatte. Sie liebte es, durch den rankenumschlossenen Tunnel zu spazieren, unter dem Dunkel des grünen Blätterdaches, wo die Sonnenstrahlen, die hereindrangen, ein grünes Zwielicht schufen.
    Wenn sie an meiner Seite war, konnte ich kaum dem Drang widerstehen, sie in meine Arme zu nehmen und ihr onyxglänzendes Haar zu berühren. Aber ich beherrschte mich, wie es meine Pflicht war.
    Um der Schicklichkeit willen bestand Anne darauf, dass wir unseren früheren Stand nach außen hin bewahrten, ich als Katharinas Ehegemahl, sie als unvermählte, heiratsfähige Jungfer. Für sie war diese Anordnung ergötzlicher als für mich. Zur »Tarnung« war sie genötigt, sich mit Freiern und Höflingen zu umgeben, derweil mein Platz an der Seite der äußerlich ruhigen, aber innerlich siedenden Katharina war.
    Katharina war unterdessen in ihren Gemächern angelegentlich damit beschäftigt, geheime Briefe an ihren Neffen, den Kaiser Karl, zu schreiben und ihn um Hilfe zu bitten – Briefe, die ich abfangen und für meine Akten vollständig abschreiben ließ. Es war tollkühn, wie sie versuchte, ihre Ehe zu schützen: Sie rief eine ausländische Macht um Hilfe an! Sie behauptete, durch und durch englisch zu sein, aber ihre Taten straften solche Worte Lügen. Sie bildete sich ein, der Kaiser könne sich in englische Angelegenheiten einmischen, und ich würde vor seinem Diktat in die Knie gehen.
    Ich selbst begab mich ebenfalls auf manchen Holzweg. Ich bedrängte den Papst, mir zu bestätigen, dass meine Ehe tatsächlich ungültig sei. Überdies wurden zahlreiche Agenten nach Rom entsandt, die einen besonderen Dispens erwirken sollten, damit der Fall in England, statt in Rom, verhandelt werden könnte. Sie scheiterten alle. Papst Klemens hatte nicht die Absicht, seine Autorität zu delegieren. Er beharrte darauf, dass die Entscheidung nur in Rom getroffen werden könne.
    Und so vergingen Monate, während ich wartete, und ich sah Anne vor mir wie eine Flamme, umgeben von hübschen jungen Freiern … und einer vor allem fiel mir auf: Thomas Wyatt, ihr Cousin.
    Ich mochte den jungen Wyatt sonst recht gern. Er war ein Poet, und ein guter dazu. Überdies war er begabt auf dem Gebiete der Diplomatie und der Musik. Aber er war verheiratet, und insofern stand es ihm nicht zu, sich um die Gunst einer Dame zu bewerben, schon gar nicht um die seiner Base. Sie waren in Kent zusammen aufgewachsen, versicherte Anne mir. Aber mir gefiel nicht, wie sie sich zusammen benahmen und wie sie einander anschauten. Es war unschicklich.
    Ich erinnere mich gut (erinnere mich gut? Ich kann die Erinnerung nicht aus meinen Gedanken verbannen!) an einen schönen Tag im Mai (ein Jahr war seit Wolseys törichtem »Tribunal« vergangen, und ich war von der Erfüllung meiner Herzenssehnsucht so weit entfernt wie eh und je), als viele Angehörige des Hofes sich zum Mai-Kegeln versammelt hatten. Eine Anzahl hölzerner Kegel wurden auf kurz geschnittenem Rasen aufgestellt, und alle wetteiferten darin, eine schwere Kugel so zu werfen, dass sie

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