Ich kenne dein Geheimnis
fordern. Die Sorge um die Zukunft der Bruderschaft steigerte sich noch, als sie durch das Monte-Pietà-Viertel fuhren, wo die
Beati Paoli ihren Sitz haben sollten, gefürchtet von den Mächtigen und verehrt vom Volk, so hieß es zumindest. Von dieser
geheimnisvollen Sekte hatte sich Volfango d’Altino inspirieren lassen, als er seinen eigenen Geheimbund gründete, überzeugt
davon, im Schatten |172| der mächtigen Sekte unerkannt wirken zu können. Er verstand es geschickt, das Verschwinden der Edelleute mit den Beati Paoli
in Verbindung zu bringen. Doch jetzt drohte das Eingreifen von Principe Gravina und Marchese Cutò die Anonymität seiner Mission
zu gefährden. Das konnte er nicht zulassen. Unter keinen Umständen.
»Schnell, beeilt Euch! Donna Eufrasia liegt in den Wehen!« Tina stürzte mit hochrotem Kopf ins Zimmer des Barons.
»Gerade jetzt …«, Volfango d’Altino wirkte angespannt. In dieser Nacht hatte er einen Überfall auf den Palazzo von Conte Francesco
di Torre del Grifo organisiert, einem Adligen, der ein Vermögen verspielt hatte und den die Schulden zu erdrücken drohten.
Ein korrupter Diener hatte Franzin verraten, dass dort Juwelen von beträchtlichem Wert versteckt waren, die der Conte für
seine Mutter aufbewahrte. Eine verlockende Beute ohne großes Risiko. Der Verdacht würde auf die Gläubiger del Grifos fallen.
»Ich komme«, sagte er und zwang sich zur Ruhe.
Im Wohnflügel der Baronessa war seit Stunden alles für die Geburt vorbereitet. Gleichwohl war alles in hellem Aufruhr, da
auch die Dienerin Meluzza kurz vor der Niederkunft stand. Zu allem Überfluss war der Arzt, der Donna Eufrasia zur Seite stehen
sollte, noch nicht eingetroffen. Nachdem sich die Dienerschaft wiederholt beklagt hatte, befahl der Baron, Meluzza neben dem
Zimmer der Baronessa unterzubringen.
»Schnell, Don Volfango!«, mahnte Tina. Der älteste Diener eilte herbei, auch er völlig aufgelöst. »Die Kutsche des Dottore
ist immer noch nicht eingetroffen, und Donna Eufrasia steht kurz vor der Niederkunft! Meluzza hat es fast geschafft, aber
das Kind ist riesig, man könnte glatt zwei daraus machen!«
|173| »Idiot!«, fauchte d’Altino. Doch dann mäßigte er seinen Ton: »Es wird alles gutgehen. Schickt nach Anita, die macht es genauso
gut wie ein Arzt.«
Während sie die Gänge zu den Gemächern seiner Frau entlang hasteten, warf der Baron einen Blick auf die Gemälde an den Wänden.
Die unbekannten Gesichter schienen ihn mit stummer Erwartung anzustarren. Edelmänner in Rüstung, ein Feldmarschall mit grauer
Satinschärpe und Lockenperücke, ein spitzbärtiger Amtsrichter in grauer Uniform und weißer Halskrause, aber auch eine junge
Frau mit gepuderter Perücke und Perlenkette. Aus ihrem Dekolleté blitzte eine Blume, das Symbol der Reinheit. Auf ihrem Schoß
saß ein Hündchen, das Symbol der Treue. Der Baron hatte den Eindruck, dass alle diese Menschen wussten, dass in dieser Nacht
das Schicksal des Hauses d’Altino besiegelt wurde. Plötzlich hatte er Angst, sie zu enttäuschen und hoffte inständig, dass
das Schicksal ihm einen männlichen Erben bescheren würde.
Am Ende der Galerie hing ein großformatiges Porträt von Donna Eufrasia, das einzige Gemälde, das ein Mitglied seiner Familie
zeigte. Alle anderen waren Beutestücke seiner Raubzüge. Donna Eufrasias Haare waren gepudert und mit kleinen Blüten und einer
kostbaren Spange geschmückt. An der rechten Hand trug sie zwei Ringe: einen am Ringfinger, den anderen am kleinen Finger.
Ihr prachtvolles Kleid aus cremefarbener Seide mit Blumenmotiven entsprach ganz der Mode. Die weiten Pagodenärmel ließen den
Spitzensaum des Unterkleids hervorblitzen. Als das Bild gemalt worden war, hatte seine Frau bereits um einiges zugenommen,
doch dem Künstler war es gelungen, ihre allzu üppigen Rundungen zu kaschieren. Von dem Gemälde lächelte ihm eine begehrenswerte,
sinnliche Frau zu. In Wirklichkeit war ihm die Körperfülle seiner Frau gleichgültig gewesen, sie hatte |174| sich sogar als Vorteil erwiesen. Donna Eufrasia musste lediglich ein Tuch um die Hüften binden, um ihre Umwelt davon zu überzeugen,
dass sie wirklich ein Kind erwartete. Sicherheitshalber hatte sie in den letzten Monaten zwei Tücher verwendet.
Aus dem Zimmer neben Donna Eufrasia waren Schreie zu hören.
»Dottore, schnell, hier entlang!« Anita wies dem Arzt den Weg. Meluzza ging es schlecht. Die Wehen schienen endlos
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