Ich kenne dich
spielt keine Rolle. Chloe ist eben manchmal so, ich kenne sie schon länger als du. Lange genug, um zu wissen, wann sie es ernst meint und wann sie nur Dampf ablässt.«
Emma fummelte bloß an den Falten in ihrem Rock. Ihre Strümpfe waren nicht richtig gewaschen – Barbara achtete sehr darauf, nur weiße Sachen zusammen zu waschen, genau wie Amanda. Wer auch immer die Wäsche machte bei Emma zu Hause, nahm nicht so viel Rücksicht darauf, und ihre Strümpfe hatten die Farben von altem Porridge. Die meiste Zeit kümmerte sie sich nicht um ihre Haare. Sie versuchte nie, sich heimlich für die Schule zu schminken. Sie kaute an der Manschette ihrer Bluse, wenn sie nachdachte. Ich konnte die Dinge, die ich über sie wusste, an einer Hand abzählen.
»Ich bin schon seit Ewigkeiten mit Chloe befreundet«, sagte ich. »Sie erzählt mir alles. Sie war schon hier. Wir haben uns ausgequatscht.«
»Ich habe mich nur gefragt, ob es dir recht ist, dass ich draußen auf dich warte, um dich zur Schule zu begleiten«, sagte sie rasch. »Wir können zusammen gehen. Es macht mir nichts aus, ein bisschen früher loszugehen und zuerst zu dir zu kommen. Ich stehe sowieso früh auf für meine Gymnastik.«
»Du willst mich zur Schule begleiten?«, fragte ich.
Sie wand sich, weil sie sich bei der Vorstellung so unwohl fühlte wie ich.
»Wenn morgen dein erster Tag ist, kann ich dich abholen.«
Ich starrte sie an. Sie starrte zurück. Braune Augen, ausdruckslos und undurchdringlich. Sie testete mich. Sie wollte mich im Auge behalten? Hatte Chloe ihr gesagt, sie sollte mich begleiten, um sicherzustellen, dass ich nicht ausflippte und den Mund aufmachte wegen Wilson oder Carl oder ihr oder den anderen Dingen, von denen sie nicht ahnte, dass ich sie wusste? Nichts davon ergab Sinn.
»Du hast es gehört, oder?«, fügte Emma erklärend hinzu. »Ich schätze, du hattest in den letzten paar Wochen andere Dinge im Kopf.«
»Ich weiß, dass es wieder zwei erwischt hat.«
»Beide von unserer Schule – im Schwimmbad und auf dem Sportplatz. Wenn wir einen Geländelauf machen, stellen sich jetzt extra Lehrer an der Strecke auf.«
»Barbara schaut immer nur Video«, sagte ich. »Wir sehen uns nie die Nachrichten an.«
Ich weiß nicht, ob Emma verstand oder nicht, aber sie nickte. »Es hat wieder angefangen«, sagte sie. »Er ist jetzt so dicht an uns dran.« Ihre Stimme klang seltsam. »Du musst vorsichtig sein. Sehr vorsichtig.«
Das Hallenbad war auf dem Schulgelände – eigentlich waren es unser Schwimmbad und unsere Sporthalle und unsere Tennisplätze – , aber sie waren auch zugänglich für die Öffentlichkeit, und es gab einen ausgetüftelten Stundenplan, der diktierte, wann das Becken frei war und wann wir Schwimmunterricht hatten. Es war unheimlich kompliziert, und die Barriere zwischen Freizeitschwimmen und Schulschwimmen bestand lediglich in einer unbeschrifteten Doppeltür, während der Unterricht die halbe Zeit vor Zuschauern auf der Galerie stattfand, die in Handtücher eingewickelt waren und ungeduldig darauf warteten, dass wir zum Ende kamen, damit sie wieder hineinkonnten. Ich fand die Vorstellung, eine Galerie über dem Becken zu haben, immer schon seltsam – wer will schon beim Schulschwimmen zusehen?
»Bis jetzt lebe ich noch«, sagte ich und lachte.
»Terry glaubt nicht, dass es derselbe Täter war«, sagte Emma. »Er vermutet, dass die ersten Übergriffe auf das Konto von diesem Mongo gehen, aber dass es jetzt ein anderer war. Ein Nachahmungstäter.«
Ich lachte. »Nicht wieder der Mongo«, sagte ich und sah aus dem Fenster auf den Garten, der kahl und blauweiß von Frost war. »Und wie kommt Terry darauf?«
»Das Mädchen auf dem Sportplatz – sie geht in die Siebte. Er hat nicht nur seinen Schwanz rausgeholt und sie begrapscht«, sagte Emma, »sondern er hat versucht, sie wegzuzerren, den kleinen Pfad entlang. Sie sagt, am anderen Ende war ein Wagen geparkt. Sie vermutet, er wollte sie verschleppen.«
Ich zuckte mit den Achseln.
»Und die andere«, fuhr sie rasch fort, »die im Hallenbad … « Sie unterbrach sich und folgte meinem Blick aus dem Fenster. »Sie redet immer noch nicht. Weder mit der Polizei noch mit ihren Eltern, mit keinem. Es ist viel schlimmer. Eine neue Eskalationsstufe . Spielt keine Rolle, wer es ist. Auch nicht, wie lange es dauert, bis sie ihn kriegen. Wir müssen einfach zusammenbleiben, damit uns nichts passiert. Er ist noch nicht fertig. Die beiden Mädchen sind noch mal
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