Ich mach mich mal dünn - Neues aus der Problemzone
die platten Reifen, pumpt sie auf und radelt einmal um den Block – wenn er dazu nach der ungewohnten körperlichen Betätigung überhaupt noch in der Lage ist. Damit hat er sein Haltbarkeitsdatum peripher verlängert. Ein Anfang, immerhin.
Mehr brächte es, führe er nun immer mit dem Rad ins Büro – vorausgesetzt, es liegt nicht um die Ecke, sondern ungefähr eine halbe Stunde lockeres Radeln entfernt. Ansonsten empfiehlt es sich, das Rad doch lieber aufzubocken und die Bundesliga ab sofort vom Hometrainer aus anzuschauen.
Sabine tendiert eher zum Stöckekratzen. Sie besitzt nämlich gar kein schrubbeliges Fahrrad. Und selbst wenn, würde sie lieber irgendwann einen Haufen Rost und Staub zusammenfegen und heimlich entsorgen, als die alte Gurke jemals wieder aus dem Keller hoch zu schleppen. Und Reifen flicken kann sie auch nicht.
Trotzdem steht Sabine dem mehr oder weniger motivierten Radler Andreas in nichts nach: Viereinhalb Stunden zügiges Nordic-Walken auf sieben Tage verteilt formen zwar noch keine Modelfigur, sind aber eine erfreuliche Maßnahme gegen den gemeinen Torten-Magnetismus. Und überhaupt: »Jeder Schritt mehr ist ja irgendwie schon ein Erfolg«, findet Sabine. »Pi mal Daumen bringt alles was – wenn schon nicht zum Abnehmen, dann aber doch, um zum Beispiel das Herzinfarktrisiko zu senken.«
Als Andreas das bezweifelte, weil er die Blockradelei schnell langweilig fand, rechnete ihm Sabine vor, dass er auch anderweitig mehr Kalorien verbrauchen könnte. Eine Stunde stramm strampeln bringe, so hatte Sabine herausgefunden, in Sachen Energieverbrauch ungefähr so viel wie vier Stunden Kochen, zweieinhalb Stunden Putzen oder zwei Stunden Sex. Danach wollte Andreas doch lieber wieder Rad fahren.
Sporteln, schwitzen, keuchen? »Puh! Viel zu anstrengend. Haben Sie nicht was Netteres im Programm?«, werde ich oft gefragt. »Irgendwas in Richtung Wellness, womit man ohne Anstrengung abnehmen kann?« – Schön wär’s. Eine Fett-weg-Massage oder einen Gummianzug, in dem die Pfunde wegschwitzen wie in einem Backofen-Bratschlauch? Gibt’s leider ebenso wenig wie eine Wunderpille, die nach Crème Brûlée schmeckt und vorher verzehrte Kalorien halbiert . Schade, schade, schade.
Also reift nach Jahren konsequenter »Komm ich heut nicht, komm ich morgen – und sitzen tu ich eh am liebsten«-Haltung die Erkenntnis, dass da wohl mal ein Zahn zugelegt werden muss. Männer neigen dabei gern zur Übertreibung. Erst in die eine, dann in die andere Richtung.
Gerade gestern ist mir wieder so ein typischer Vertreter der Gattung »Platz da, jetzt komm ich« über den Weg gelaufen. Während ich in Ruhe meine Jogging-Runden drehte, überholte er mich gleich mehrmals: Zuerst legte er einen Sprint hin, als wäre ein ausgerissener Kampfhund hinter ihm her; er spurtete aus den Startlöchern von null auf hundert
und brauste auch in Runde zwei rekordverdächtig an mir vorbei; als er im nächsten Durchgang, nun keuchend, noch immer Vollgas gab, begann ich mir Sorgen zu machen; nicht nur um seine Gesundheit (Überanstrengung ist ja bekanntlich gefährlich) – sondern auch um seine Figur.
»Hä?«, fragen Sie. »Für eine Top-Figur kann man doch gar nicht genug Sport treiben, oder?« – Doch, man kann. Zu viel Sport macht nämlich dick. Wer das nicht glaubt, geht einfach mal in Gedanken durch, wie man sich nach einer Verfolgung fühlt, bei der es um Leben und Tod geht. Überanstrengung? Bemerkt man gar nicht. Dafür sorgen Endorphine, die – zwecks Überleben in Zeiten von Säbelzahntigern auf Menschenjagd – seit Jahrtausenden den Schmerz betäuben und uns high machen, damit wir noch einen Gang höher schalten können.
Hunger, Durst, Zweifel, keine Lust zum Laufen – solche menschlichen Regungen empfinden Sie nicht mehr, wenn Sie den Atem einer Großkatze im Nacken spüren. Sie rennen nur noch. Aber was passiert nach einer modernen Hetzjagd um den Baggersee im Körper? – Richtig: Der Blutzuckerspiegel ist nicht nur in die Kniekehlen gerutscht, sondern fräst sich bereits Richtung Erdkern. Heißhunger ist die Folge. Und zur Belohnung geht’s direkt nach dem Duschen an den Kühlschrank. Danach gilt dann: »Alles Essbare zu mir. Immer rein damit in die Figur, bis die Sprungfedern im Fernsehsessel glühen.« Ohne den Hauch eines schlechten Gewissens, denn: »Das habe ich mir jetzt verdient!«
Wo die Kerle zur sportlichen Übertreibung neigen, lassen es Frauen meist deutlich gemächlicher angehen.
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