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Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Titel: Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Koslow
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fallen hören, da bläst er die Moschus-Kerze aus und holt den Brief aus der Nachttischschublade, um die drei Seiten noch einmal zu lesen. Nach der ersten Seite wischt er sich über die Augen, atmet tief ein und greift zum Telefon.
    »Wie spät ist es?«, murmelt Kitty nach dem vierten Klingeln.
    »Kurz nach elf.«
    Als meine Schwiegermutter trotz Schlaftablette erkennt, dass ihr einziger Sohn am Apparat ist, ergreift sie Panik. »Was ist? Fehlt Annabel was?«
    »Alles in Ordnung, Kitty«, sagt Barry, auch wenn er es selbst nicht glaubt. »Ich habe einen Brief gefunden. Von Molly.«
    »Ach?«, versetzt Kitty.
Und deshalb weckt er mich?,
denkt sie.
Weil er rührselig über irgendeinem alten Liebesbrief brütet? Vielleicht hat er zu viel getrunken, oder er kommt doch nicht so gut zurecht, wie es scheint. Er hat seine Arbeit, Himmel noch mal, und Stephanie ist genau der Typ, den Männer mögen. Er lebt sein Leben und macht weiter, und das ist auch richtig so.
    » Ach?
Willst du diesen Brief hören oder nicht?«
    »Gut, lies vor«, sagt Kitty so entschlossen, wie ihre medikamentöse Benebelung es zulässt. Doch sie hört nichts als ein leises Schniefen, so als würde Barry weinen. Deshalb wiederholt sie ihre Worte noch einmal, diesmal im liebevollen Ton einer Mutter. »Lies vor, Schatz.«
    »An meine geliebte Annabel«,
beginnt er, und ich spreche lautlos mit.
»Wenn eine Mutter ihr Kind liebt, dann für immer, und jedes Mal, wenn das Kind atmet, atmet die Mutter mit ihm und hofft, dass all seine Träume wahr werden mögen. Meine Liebe für Dich wird niemals enden, sie ist wie ein Karussell, das sich dreht, weiter und weiter und immer weiter.«
    Barry hält inne. Er kneift die Augen zu und hofft, so die Tränen zurückhalten zu können.
    »War das alles?«, flüstert Kitty heiser.
    »Nein, da ist noch viel mehr. Molly kommt sogar auf mich zu sprechen.«
    »Auf mich auch?« Jetzt ist Kitty wach.
    »Du hast es nicht reingeschafft, Mutter.«
    »Auch gut.«
Wir haben uns ja nie besonders verstanden,
denkt sie. »Wer weiß noch von diesem Brief?«
    »Keiner.« Barry hat beschlossen, dass Stephanie nicht zählt. »Gar keiner.« Zum Glück kann Delfina ihn nicht hören. Was glaubt er eigentlich, wer den Brief gefunden hat?
    »Gleich morgen früh musst du diesen Detective anrufen und ihm das zeigen«, sagt Kitty, deren Hirn langsam wieder in Gang kommt.
Dieser Brief ist für die Familie Marx das Ticket zurück ins Leben. Keine schiefen Blicke mehr von der Kosmetikerin oder der Kuh in der Reinigung, die so tut, als könnte sie kein Englisch. Kein plötzliches Verstummen mehr, wenn ich die Umkleide in meinem Club betrete. Natürlich werden sich dann alle das Maul darüber zerreißen, warum Molly sich wohl das Leben genommen hat. Vielleicht werde ich die Leute mit der Würde einer Jackie Kennedy daran erinnern müssen, dass meine Schwiegertochter – wie soll ich es ausdrücken – eben der nervöse Typ war. Die Leute werden betrübt den Kopf schütteln, Mitleid mit Barry haben und traurig darüber diskutierten, wie man das am besten der armen kleinen Annabel beibringt. Barry wird sich vor Ratschlägen nicht retten können.
    »Du musst diesen Detective gleich morgen früh anrufen«, wiederholt Kitty.
    »Ich spreche erst mit Hicks, wenn ich Mollys Eltern angerufen habe.«
    Richtig, die Divines
. »Schatz, all das muss dich furchtbar belasten . Es tut mir so leid für dich.«
So etwas sollte mein Sohn nicht erdulden müssen.
»Aber nun ist ein Ende in Sicht«
, und auch für mich war das eine schwere Zeit,
denkt sie.
Schlimmer als die Zeit, in der Stan
– Barrys Vater –
sein Unternehmen verspielt hat und mein Bruder die Kaution für ihn stellen musste.
»Zumindest ist es ein Abschluss.«
    »Ein ›Abschluss‹? Wovon redest du, Mutter?« Barrys Stimme wird lauter, trotz seiner Erschöpfung. »Ich wüsste nicht, wie dieser Brief irgendetwas beweisen sollte. Molly könnte ihn irgendwann nach Annabels Geburt geschrieben haben.«
    »Mein Schatz, du willst die Zusammenhänge nicht sehen, weil du zu sehr trauerst. Das ist verständlich.«
    »Selbstmord? Ehrlich, das bezweifle ich«, sagt er. Oder hat seine Mutter vielleicht doch recht? Er muss erst mal darüber schlafen. Dieses Wort –
Selbstmord
– stößt ihm sauer auf, und er will es loswerden, ehe es einen faulen Geschmack im Mund hinterlässt. »Gute Nacht, Kitty. Und erzähl niemandem von dem Brief, ja?«
    »Nein, das verspreche ich dir.«
    Bist du nicht die Mutter, die

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