Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
ihre Ehefrau ging. Und ausnahmslos bekam man in solchen Gesprächen zu hören, dass alles, was die eigene Mutter getan hatte, natürlich falsch war. Viele dieser Typen waren die Söhne leidenschaftlicher Feministinnen aus den siebziger Jahren.
Doch mein Hohn-und-Spott-Messgerät zeigte bei Luke keinen Ausschlag an.
»Du bist der Erste, der sich traut, mich direkt danach zu fragen«, sagte ich, um Zeit zu gewinnen. Eigentlich hatte ich vorgehabt, wieder arbeiten zu gehen, doch einen Monat nach Annabels Geburt wurde meine Chefin durch eine neue Chefredakteurin ersetzt, der wie eine Monsterwelle der Ruf ungebremsten Ehrgeizes vorauseilte. Wir beide hatten eine kurze Besprechung, als sich mein Mutterschaftsurlaub dem Ende zuneigte. Mit gelangweilter Miene und hier und da einem entsetzten Blick blätterte sie ein Portfolio mit den Dekorations-Storys durch, die ich in den letztendrei Jahren gemacht hatte. Zwei Tage später rief mich die Personalchefin an und sagte, die neue Chefredakteurin »schlage eine ganz andere Richtung ein« – sollte heißen, ich war nicht auf ihrem Radarschirm.
Seit ich zweiundzwanzig war, hatte ich immer einen Job gehabt. Die Isolation machte mir schwer zu schaffen. Selbst nach all diesen Monaten konnte ich mir nicht vorstellen, auf Dauer zu Hause zu bleiben, wo ich mit niemandem als Annabel reden würde. Fieberhaft hatte ich meine Fühler ausgestreckt. Doch alle Jobs, von denen ich erfuhr, hatten kaum etwas mit Inneneinrichtung zu tun. Ich hätte die eine Hälfte meiner Zeit damit zugebracht, Luftpolsterfolie zu bestellen, und die andere, Kartons von Kühlschrankausmaßen ein- oder auszupacken. Ideal wäre ein Teilzeitjob gewesen, doch wenn ich das im Vorstellungsgespräch andeutete, hieß es sofort: »Die Nächste bitte!« Vermutlich haben all diese Chefredakteure gefürchtet, dass ich mir jeden zweiten Tag wegen irgendeines Baby-Notfalls frei nehmen würde.
»Ich kümmere mich sehr gern um Annabel«, sagte ich schließlich im Brustton dessen, was ich für Überzeugung hielt. Und es stimmte ja auch.
»Irgendwas sagt mir, dass an der Geschichte noch mehr dran ist«, erwiderte Luke und nippte an seinem zweiten Glas Wein. »Die Frau meines Bruders erzählt mir immer, dass sie es gar nicht fassen kann, wie ein so kleiner Körper solche Unmengen Kacke produzieren kann.«
»Was mich anstrengt, sind diese ständigen Vergleiche«, sagte ich zögernd. Nicht nur die ewigen kritischen Blicke, welche Mutter schlanker geworden war als vor der Schwangerschaft und welches Kind zuerst, am schnellsten oder am weitesten krabbeln konnte. Die Leute legten ein Konkurrenzverhalten an den Tag, wie ich es mir nie hätte vorstellen können. Jede Mutter, die weniger als drei Kinderwagen besaß – ein Modell zum Zusammenklappen, das man gut im Taxi transportieren konnte, ein dreirädriges Sportmodell für den Fall, dass man Joggen ging, und einenstrapazierfähigen Bugaboo Frog für jeden Tag, der mehr kostete als das erste Auto der meisten Leute –, wurde behandelt, als müsste sie um Lebensmittelmarken anstehen. »Es kommt mir vor, als wären die Regeln für Mütter in dieser Stadt in einem Geheimcode abgefasst, und mir hat niemand den Schlüssel gegeben.«
Ich interpretierte Lukes Gesichtsausdruck als mitfühlend, und so erzählte ich weiter. »Okay. Thema Vorschule. Echte Märtyrer-Mütter diskutieren heute schon, wo man sein Baby, das noch nicht mal sitzen kann, am besten anmeldet.« Luke glaubte vielleicht, dass ich übertrieb, nur um witzig zu sein. Mitnichten. »Sie wischen ihren Kleinen den Sabber vom Mund und analysieren gleichzeitig die Vor- und Nachteile der verschiedenen Vorschulen, als ginge es um Harvard oder Yale.« Meine Stimme klang, als hätte ich Helium eingeatmet. »Aber vielleicht ist das ja auch so, denn man versichert mir, dass Annabel sich ihre ›Elite-Uni-Träume‹ gleich abschminken könnte, wenn sie nicht auf der richtigen Schule gewesen ist.« Als wären es Träume von den Charles hinunterrudernden Harvard-Studenten, die Annabels Augenlider im Schlaf flattern ließen, wenn ich nachts in ihr Bettchen spähte. »Was nicht heißen soll, dass ich mich dem ganz entziehen könnte«, gab ich zu. In ein paar Monaten würden meine Tochter und ich an einem Kurs namens »Magische Maestros« teilnehmen, in dem Musiker für uns spielen würden, die angeblich Geiger der New Yorker Philharmoniker waren.
»Fang doch wieder an zu arbeiten«, sagte Luke, nachdem ich zehn Minuten lang gezetert
Weitere Kostenlose Bücher