Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
Brad-Pitt-Actionfigur, habe ich mir gesagt.«
In dem Karton lag ein großer weißer Stoffhase mit langen Schlappohren. Annabel griff danach und fing prompt an seiner Stupsnase zu saugen an. »Danke«, sagte ich lächelnd, beugte mich vor und gab Luke einen Kuss auf die Wange. »Ich bin froh, dass der Hase mit der Nase gegen Brad Pitt gewonnen hat. Was meinst du, wie sollen wir ihn nennen?«
»Na, hör mal, er hat doch bereits einen Namen. Er heißt Alfred, wie mein Vater – lange Beine, große Ohren, Lieblingsspeise Karotten.«
»Das ist Hase Alfred, Annabel«, sagte ich und strich mit dem samtigen Plüsch über ihren Arm. »Er ist von Onkel Luke.«
Luke schnitt eine Grimasse.
»Okay, ich korrigiere. Er ist von Mr. Delaney.«
»Alfred ist von
Luke
, Annabel«, sagte er selbst und sah auf die Armbanduhr. »Von Luke, der jetzt leider gehen muss. Tut mir leid. Ich habe noch eine Besprechung.«
Ich holte seinen Mantel aus dem Schrank und gab Luke noch einen flüchtigen, keuschen Kuss auf die Wange.
»Denkst du über mein Angebot nach?«, fragte er.
»Ja.«
»Wirklich?«
»Versprochen.«
»Also dann, versprochen!«, rief er auf dem Weg zum Fahrstuhl. »Ich werde dich daran erinnern.«
Als ich an diesem Abend noch einmal nach Annabel sehen ging, lag sie eng umschlungen mit Alfred da. Sie hielt ihn diese Nacht im Arm und auch in jeder folgenden Nacht, bis er vor lauter Liebe ganz kahl wurde. Doch nicht mal das abgenutzte Fell konnte seiner Anziehungskraft etwas anhaben. Der Hase Alfred wurde der König unter den Tieren. Er verstand Annabel, wie kein Teddybäroder Esel es je konnte, und wann immer ich die beiden, Annabel und Alfred, zusammen sah, wurde ich unweigerlich an Luke erinnert.
Am folgenden Montag begann ich mit der Suche nach einem Kindermädchen, und zwei Wochen später trat Delfina Adams in unser Leben. In der nächsten Woche gab ich Visitenkarten in Auftrag. Und in der Woche darauf flog ich nach Sonoma, wo Luke und ich unser erstes Shooting hatten.
20
Hybris und Anmaßung
Warum ist dieser Abend anders als alle anderen? Er ist anders als alle anderen, weil an diesem Abend Pessach beginnt. Und an diesem Morgen legt Kitty, wie jedes Jahr, letzte Hand an ihre Vorbereitungen für ein Sederessen, das der Zeitschrift ›Gourmet‹ würdig wäre. Was für ein Pech, dass ich ihr nicht schon zu meinen Lebzeiten so auf den Fersen bleiben konnte wie heute, denn gerade eben habe ich endlich herausgefunden, wie sie ihre federleichten Matzebällchen macht. Das Rezept, das sie hütet – diese Hybris! –, als wär’s die Formel für Ecstasy, ist gut lesbar aufgedruckt auf die Rückseite der Matzemehlschachtel der Firma Manischewitz, nur dass sie Selters statt Wasser zum Anrühren nimmt. Herrgott, dass ich diese Frau nicht mehr auffliegen lassen kann, macht mich ganz wahnsinnig. Wem kann ich das hier in der Ewigkeit erzählen? Wen interessiert so was? Bob? Glaube ich nicht.
»Pinky, gehen Sie mal ans Telefon!«, ruft Kitty ihrer Haushälterin zu. »Das Mädchen«, so nennt sie Pinky Mae Springer, eine Frau, die seit nunmehr achtunddreißig Jahren für sie arbeitet.
»Es ist Dr. Marx«, ruft Pinky zurück. Sie kennt Barry, seit er ein kleiner Hosenscheißer war, aber nach Abschluss seines Medizinstudiumshat Kitty darauf bestanden, dass Pinky ihn mit seinem Titel anredet.
»Einen Augenblick«, sagt Kitty und steckt noch eine große Damastserviette in einen silbernen Serviettenring. Jede Serviette ist haargenau gleich weit aufgefächert. Kittys Perfektion ist wirklich bewundernswert. Vermutlich sind sogar ihre Hirnwindungen in exakte Falten gelegt. Sie geht an das Telefon in der Küche, ihre Absätze klacken wie ein Trommelwirbel auf den Fliesen. »Mein Schatz«, sagt sie zu Barry in einem Ton, den sie nur für ihn reserviert und vermutlich für melodisch und charmant hält. »Sind sie schon angekommen?«
Sie
dürften meine Eltern sein, die um elf Uhr landen sollten. Lucy boykottiert den Sederabend und fliegt morgen nach Saint Barthélemy, wo sie sich mit ihrem neuen Freund treffen will.
»Sie sind da?«, sagt Kitty, die bis zuletzt die Hoffnung nicht aufgegeben hatte, meine Eltern würden in letzter Minute noch absagen. »Jetzt muss ich mir überlegen, wohin ich sie setze.« Sie arbeitet immer minutiöse Sitzordnungen aus, so als würde sie den Kronprinzen von Saudi-Arabien zum Staatsdiner erwarten. Das Telefon noch ans Ohr gepresst, öffnet sie eine Schublade ihres Sheraton-Büfetts und holt
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