Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
Arm, während sie gegen das Autofenster hämmert. Ihre Gebäckschachtel fällt herunter, und lauter schwarz-weiße Kekse kullern in den Gully. Ella jammert auf – es sind ihre Lieblingskekse – und dreht sich um, weil sie Stephanie und den Wachmann herbeirennen hört. Sie stößt Narcissa an, die es jetzt ebenfalls bemerkt. »Da kommt ein Polizist«, sagt Narcissa zu Lucy. »Annabel, du musst keine Angst haben.«
»Lady«, schnauzt der Fahrer Lucy an. »Geben Sie das Kind zurück.«
»Wie können Sie es wagen, so mit mir zu reden!«
Annabels herzförmiges Gesicht schießt hin und her zwischen Lucy, Narcissa, Ella und dem Fahrer, dem der Turban schief auf dem Kopf sitzt. Sie fängt an zu weinen, zuerst leise, doch dann wird ein lautes Geheul draus. »Lass mich raus, Tante Lucy«, wimmert sie. »Ich habe Angst. Ich will zu Delfina.«
»Annabel, hör auf!«, blafft Lucy, und Annabel weint noch mehr. »Es ist alles okay. Du bist bei mir, bei Tante Lucy. – Fahren Sie endlich los, Mann!«
Der Mann rührt sich nicht.
»Sie fahren nirgendwohin«, ruft der Wachmann, der das Taxi erreicht hat und jetzt gegen die Scheibe klopft. »Verdammt, wer immer Sie sind, machen Sie die Tür auf.«
»Sonst?«, schnauzt meine Schwester. »Holen Sie dann einen richtigen Polizisten?«
Stephanie steht hinter ihm. »Ich rufe Dr. Marx an«, sagt sie, zieht mit der rechten Hand ihr Handy aus der Jackentasche undklopft mit der linken an das Fenster. »Wer immer Sie sind, Sie sind ja verrückt. Lassen Sie Annabel gehen!«
»Scheiße«, murmelt Lucy vor sich hin.
Ich sitze in der Falle,
denkt sie.
Das ist schiefgelaufen.
»Verdammt noch mal.«
Als sie die Taxitür öffnet, taumelt Annabel in Narcissas weiche, weit ausgebreitete Arme. Lucy knallt die Tür wieder zu. »Jetzt fahren Sie schon«, bellt sie. Und diesmal braust der Fahrer davon, als wäre die Kavallerie hinter ihm her.
»Annabel, du arme Kleine, ich bin ja da, ich bin ja da«, sagt Narcissa und wiegt den vogelgleichen Körper meiner Tochter. »Narcissa und Ella sind da. Alles okay.«
Doch nichts ist okay. Meine Tochter zittert am ganzen Leib. Wie konnte meine durchgedrehte Schwester das nur tun – sich mit einem jamaikanischen Kindermädchen anlegen? Nein: Wie konnte sie das nur tun – Punkt.
Kurz höre ich noch in Lucys Gedanken hinein, während sie im Taxi davonfährt. Ich möchte verstehen, warum sie sich aufgeführt hat wie aus der Klapsmühle entsprungen, falls ich diesen medizinischen Begriff hier mal benutzen darf. Doch in Lucys Gedanken herrscht wilder Aufruhr. Sie stellt sich nur immer wieder die Frage, warum sie dauernd die falschen Entscheidungen trifft. In diesem Augenblick kann ich kein schwesterliches Gefühl mehr für sie aufbringen; es ist, als hätte eine große schwarze Krähe es mir ausgerupft. Noch nie habe ich mich so nutzlos, so frustriert, so tot gefühlt.
21
Wünsche an Bordeaux
»Ist das nicht großartig?« Mit ausgestreckten Armen rannte Luke begeistert von einer Ecke des Hauses in die andere und eine freiliegende Treppe aus Stahl hinauf.
»Schon, wenn man immer davon geträumt hat, in einer gigantischen Sardinenbüchse zu wohnen«, sagte ich.
Das Haus
du jour
stand im Sonoma County und war von einem der berühmten Architekten für einen der genialen Jungs aus dem Silicon Valley entworfen worden, der sich gerade noch rechtzeitig hatte auszahlen lassen. Unter der erschreckend hohen Decke fühlte ich mich kaum mehr einen Meter groß. Ich drehte mich einmal um mich selbst, um den marmorierten grauen Betonboden mit den willkürlichen, kunstvollen Rissen zu betrachten, die stahlgrauen Wände und das auf dem Putz verlegte Rohrsystem. Die Fensterfront bestand aus zwei Quadratmeter großen Glasflächen. Ich blinzelte in die Sonne und sah endlose Weinberge sich grün und golden über die nördlichen Berge Kaliforniens erstrecken.
»Was bist du denn so kritisch?«, fragte Luke. »Das ist doch einfach umwerfend.«
Umwerfend war es, stimmt. Ich hatte gelesen, dass man das Haus nachts schon aus mehreren Meilen Entfernung sehen konnte, wie ein leuchtendes UFO. Gleich nach Fertigstellung des Anwesens waren Bebauungsvorschriften erlassen worden, die es künftigen Bauherren untersagten, die Landschaft mit ähnlichen Gebäuden noch mehr zu verschandeln.
»Komm schon«, sagte er. »Und dieses Licht – phantastisch. Ich würde sonst was tun für so ein Haus.«
»Mr. Delaney, Sie sind gar nicht cool genug, um in einem Haus wie diesem zu wohnen«,
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