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Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden

Titel: Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nojoud Ali , mit Delphine Minoui
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würde mich begleiten und bei seinem Bruder auf mich warten. Aber danach, und darauf bestand er ausdrücklich, würden wir hierher zurückkehren. Ich packte hastig meine Sachen zusammen, damit er es sich nicht noch einmal anders überlegte.
    Die Rückfahrt erschien mir schneller als der Hinweg. Doch jedes Mal, wenn ich einnickte, stellten sich dieselben alptraumhaften Bilder ein: der Blutfleck auf dem Leinentuch, das Gesicht meiner Schwiegermutter, die sich über mich beugt, der Eimer Wasser. Plötzlich fuhr ich aus dem Schlaf hoch. Nein! Ich würde nie wieder zurückgehen. Ich würde nie wieder zurückgehen. Niemals! Khardji, das Ende der Welt. Ich wollte dieses Dorf nie wieder betreten!
    »Es kommt nicht in Frage, dass du deinen Mann verlässt!«
    Die Reaktion meines Vaters nach meiner Ankunft in Sanaa war unerwartet. Und eindeutig. Sie bereitete der Wiedersehensfreude ein rasches Ende. Meine Mutter sagte zunächst kein Wort. Schließlich fiel ihr nichts anderes ein, als mit zum Himmel erhobenen Händen zu murmeln:
    »So ist das Leben, Nojoud. Alle Frauen müssen da durch. Wir haben alle das Gleiche erlebt.«
    Aber warum hatte sie mir nie etwas gesagt? Warum hatte sie mich nicht gewarnt? Jetzt, da die Heirat besiegelt war, saß ich in der Falle, es war mir unmöglich, alles rückgängig zu machen. Ich konnte meinen Eltern noch so viel erzählen über die nächtlichen Schmerzen, die Prügel, das Brennen und all die persönlichen und grauenvollen Dinge, von denen zu reden ich mich schämte: Sie erklärten mir, dass es meine Pflicht sei, mit diesem Monster zu leben.
    »Ich liebe ihn nicht! Er tut mir weh. Er zwingt mich, unangenehme Dinge zu tun, die mir nicht gefallen. Er ist nicht nett zu mir!«, erwiderte ich beharrlich.
    »Nojoud, du bist jetzt eine verheiratete Frau. Du musst bei deinem Mann bleiben«, herrschte mein Vater mich an.
    »Nein, ich will nicht! Ich will zurück nach Hause!«
    »Unmöglich!«, ging er dazwischen.
    »Nein! Bitte. Bitte!«
    »Es ist eine Frage des
sharaf
, hörst du?«
    »Aber …«
    »Du hast zu tun, was ich dir sage!«
    »
Aba
, ich …«
    »Wenn du dich von deinem Mann scheiden lässt, werden mich meine Brüder und Cousins umbringen! Die Ehre geht über alles. Die Ehre! Hast du verstanden?«
    Nein, ich hatte nicht verstanden, und ich konnte es nicht verstehen. Nicht nur hatte das Monster mir weh getan, sondern nun verteidigte meine Familie, meine eigene Familie ihn auch noch. Und zwar nur wegen der … der … Weswegen noch mal? Wegen der Ehre. Was sollte das eigentlich heißen, dieses Wort, das sie andauernd gebrauchten? Ich war ratlos.
    Haïfa, die Augen weit aufgerissen, verstand noch weniger als ich, was da gerade mit mir geschah. Als sie sah, dass ich in Tränen ausbrach, schob sie ihre Hand in meine. Das war ihre Art, mir zu sagen, dass sie auf meiner Seite war. Plötzlich durchfuhr mich wieder die grässliche Vorstellung: Was, wenn sie vorhatten, auch sie zu verheiraten? Haïfa, meine kleine Schwester, meine süße kleine Schwester. Hoffentlich würde sie das Glück haben, von diesem Alptraum verschont zu bleiben …
    Mona setzte mehrmals dazu an, für mich einzutreten. Doch ihre Schüchternheit siegte. Wer hätte sie auch schon angehört? Hier sind es immer die Großen und unter ihnen die Männer, die das letzte Wort haben. Arme Mona. Mir wurde klar, dass ich, um aus alldem herauszukommen, nur auf mich selbst zählen konnte.
    Die Zeit drängte. Ich musste unbedingt eine Lösung finden, bevor das Monster mich wieder abholen kam. Mir war es gelungen, ihm die Erlaubnis abzuringen, noch etwas länger bei meinen Eltern zu bleiben. Doch ich drehte mich im Kreis, und es zeichnete sich kein wirklicher Ausweg aus meiner Notlage ab. »Nojoud muss bei ihrem Mann bleiben«, wiederholte mein Vater immer wieder. Sobald
Aba
einmal nicht in der Nähe war, sprach ich meine Mutter wieder darauf an. Sie begann zu weinen. Sie sagte mir, sie vermisse mich, aber sie könne nichts tun, um mich aus meiner Not zu befreien.
    Meine Befürchtungen erwiesen sich als berechtigt. Schon am nächsten Tag kam das Monster bei uns vorbei und erinnerte mich an meine ehelichen Pflichten. Ich versuchte, mich zu wehren. Vergeblich. Da ich nicht lockerließ, wurde schließlich ein scheinbarer Kompromiss gefunden. Er akzeptierte, dass ich noch ein paar Wochen in Sanaa blieb, jedoch, da er mir nicht vertraute, nur unter der Bedingung, mit ihm mitzukommen und vorübergehend bei seinem Onkel zu wohnen. Doch über

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