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Ich schnapp' mir einen Mann

Ich schnapp' mir einen Mann

Titel: Ich schnapp' mir einen Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Völler
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gestapft,
über Mauern und auf Bäume geklettert, hatten sich nur im Schutze der
Dunkelheit fortbewegt und sich verborgen, wenn feindliche Soldaten
auftauchten, hatten von der Hand in den Mund gelebt – und es
dennoch irgendwie geschafft.
    Floras Oma zum Beispiel. Die hatte oft erzählt, wie sie,
damals mit Mama im achten Monat schwanger, auf Hamsterfahrt über Land
gereist war, mit Tausenden von Frauen auf einem Zug, der nur aus
Viehwaggons bestand. Man fuhr Stunden um Stunden, ganze Tage und Nächte
lang, und wenn es nicht weiterging, wurde eben marschiert. Alles bloß
wegen ein paar Kartoffeln für die hungrigen Mäuler daheim. Irgendwer
musste sie schließlich durchbringen. Der Opa war ja im Krieg.
    Ja, dachte Flora grimmig, ich muss mir nur vorstellen, dass
Krieg ist und dass ich mittendrin bin.
    Sie holte die Feuerzeugpistole aus ihrer Handtasche und spähte
die feindliche Stellung aus. Der Garnisonsführer da drin hatte ein paar
Scharmützel gewonnen, aber die letzte große Schlacht würde sie für sich
entscheiden. Unter Einsatz schwerer Waffen würde sie diese Bastion
stürmen, im alles entscheidenden Gefecht sämtliche Geschütze des
Gegners vernichten und nach dessen unausweichlicher Kapitulation einen
heldenhaften Rückzug aus dem eroberten Terrain einleiten, die
Reparationszahlungen sicher im Marschgepäck verstaut.
    Sie schob sich die Pistole zwischen die Zähne, umfasste mit
der einen Hand beruhigend ihren Bauch, packte mit der anderen einen
kräftigen Ast und zog sich ein Stück näher zum Fenster hin, bereit für
den großen Kampf.
    Entschlossen ergriff sie die Pistole beim Lauf und holte aus,
um mit dem Griff die Scheibe einzuschlagen, als sie plötzlich um die
Hüften gepackt und mit einem Ruck aus dem Baum gezerrt wurde. Bevor sie
wusste, wie ihr geschah, lag sie flach auf dem Rücken, auf den Boden
genagelt von dem schweren Gewicht des unsichtbaren Angreifers. Sie
stöhnte und biss in die Hand, die sich auf ihren Mund presste.
    »Aua!«, sagte Anton dumpf und nahm die Hand weg.
    Flora schluckte, dann sagte sie möglichst würdevoll: »Du
liegst auf meinem Baby.«
    Anton stemmte sich hoch und half Flora auf die Füße. In dem
schwachen Licht, das von einer entfernten Straßenlaterne in den Garten
fiel, sah er verwegen und abgerissen aus.
    »Man kann dich wirklich keinen Moment aus den Augen lassen«,
beschwerte er sich.
    Flora streckte ihren Kopf vor und starrte an ihrem Bauch
vorbei angestrengt auf ihre Schuhe – soweit man die in ihrer
Lehmhülle und bei der dürftigen Beleuchtung überhaupt von der
Gartenerde unterscheiden konnte. Sie wusste beim besten Willen nicht,
was sie sagen sollte. Sie wusste ja nicht mal, was sie denken sollte!
    »Schwere räuberische Erpressung in Tateinheit mit
Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung«, zählte Anton auf, »und das
alles in fortgesetzter Tat mit dem Banküberfall und der Geiselnahme,
ergibt, summa summarum, als Gesamtstrafe schätzungsweise fünf Jahre.«
    Das brachte sie in Rage. »Na und?! Dir kann das doch ganz egal
sein! Du bist weder mein Retter noch mein Kindermädchen noch mein
Schutzengel!«
    »Sagen wir einfach, ich bin dein Anwalt.«
    Sie starrten einander lange an. Flora merkte nicht, wie sie
zitterte. Doch Anton sah es, trotz der schlechten Lichtverhältnisse.
Den ganzen Tag über war es drückend schwül gewesen, doch im Laufe des
Abends hatte die Luft sich merklich abgekühlt. Anton zog sein durch
Schweiß, Heu, Erde und Regen ruiniertes Jackett aus und legte es ihr um
die Schultern. Er hatte das Gefühl, dass alles, was er sonst noch sagen
oder tun konnte, mehr oder weniger unzulänglich sein würde. Deshalb
blieb er lieber stumm.
    Nicht so Flora. »Was nützt mir ein Anwalt, der mit einem Bein
im Gefängnis steht?«, flüsterte sie leidenschaftlich. »Und das nur
deshalb, weil es diesem miesen Schleimer da oben so gefällt! Ich kann
ihn nicht damit durchkommen lassen! Er muss überführt werden! Alle
sollen die Wahrheit wissen! So, wie es jetzt ist, kann es unmöglich
bleiben!«
    Vor allem wegen dir, fügte sie stumm hinzu. Sie sah Anton
immer noch weinen, in dem klaren Bewusstsein, dass sie allein dafür die
Verantwortung trug. Ihn so verzweifelt zu erleben, war das Schlimmste
von allem, was bisher passiert war. Viel schlimmer als pleite oder auf
der Flucht zu sein oder von der Polizei gesucht oder von Heiner
betrogen zu werden. Viel schlimmer als alles, was sie je erlebt hatte.
    Über ihre neuen Gefühle, vor allem das

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