Ich Töte
Sohn?«
Helena zögerte einen Moment.
»Genau, mein Sohn. Er ist mein Problem.«
»Und was habe ich damit zu tun?«
Ohne Vorankündigung näherte sich die Frau, hob die Hände und nahm ihm die Ray-Ban ab. Sie sah ihm in die Augen, mit einer Intensität, die Frank wie ein Messer, schärfer als das von Ryan Mosse, in sich eindringen spürte.
»Sie sind die erste Person, der ich begegnet bin, die meinem Vater die Stirn bieten kann. Wenn es jemanden gibt, der mir helfen kann, dann sind dieser Jemand Sie …«
Bevor Frank zu irgendeiner Antwort ansetzen konnte, läutete wieder das Telefon. Er griff nach dem Hörer mit derselben Erleichterung wie jemand, der im Angesicht des Feindes endlich eine Waffe in die Hand bekommt.
»Ja.«
»Nicolas. Ich bin unten.«
»Okay, ich komm gleich runter.«
Helena hielt ihm die Brille hin.
»Vielleicht bin ich nicht gerade im günstigsten Moment gekommen.«
»Ich fürchte, ich habe etwas zu erledigen. Es wird spät werden, und ich weiß nicht …«
»Sie wissen, wo ich wohne. Sie können kommen, wann Sie wollen, auch mitten in der Nacht.«
»Denken Sie, Nathan Parker würde sich über meinen Besuch freuen?«
»Mein Vater ist in Paris. Er wollte mit dem Botschafter sprechen und einen Anwalt für Captain Mosse suchen.«
Kurze Pause.
»Er hat Stuart mitgenommen, als … als Begleitung.«
Frank dachte einen Moment, Helena würde das Wort »Geisel«
verwenden. Vielleicht verbarg sich diese Bedeutung hinter dem Ausdruck »Begleitung«.
»Gut. Jetzt muss ich aber los. Aus verschiedenen Gründen möchte ich nicht, dass die Person, die unten auf mich wartet, uns zusammen rauskommen sieht. Warten Sie ein paar Minuten und gehen Sie 316
dann erst runter, okay?«
Helena nickte. Das letzte Bild von ihr, bevor er die Tür schloss, waren ihre glänzenden Augen und das kaum erkennbare Lächeln, das sich nur einer kleinen Hoffnung verdanken konnte.
Während er im Fahrstuhl nach unten fuhr, sah Frank sich im Spiegel an, im unnatürlichen Schein des Aufzuglichts. In seinen Augen spiegelte sich noch immer das Gesicht seiner Frau. Da war kein Platz für andere Gesichter, für andere Augen, für andere Haare, für andere Schmerzen. Und helfen konnte er schon gar niemandem, weil ihm selbst nicht zu helfen war.
Im Sonnenlicht, das durch die Scheiben schien und die marmorne Eingangshalle des Parc Saint-Roman durchflutete, trat er hinaus.
Draußen wartete schon das Auto von Hulot.
Als er die Wagentür öffnete, sah er durch die Scheibe auf dem Rücksitz einen Stapel Zeitungen. Die oberste trug in Blockbuchstaben die Schlagzeile Mein Name ist Keiner, offensichtlich eine Anspielung auf die Pleite vom vorherigen Abend. Die anderen Überschriften folgten in groben Zügen dieser Linie. Nicolas schien nicht besser geschlafen zu haben als er.
»Salut.«
»Salut, Nic. Entschuldige, wenn ich dich hab warten lassen.«
»Schon okay. Hast du mit jemandem gesprochen?«
»Absolutes Schweigen. Ich glaube, in deiner Abteilung werden sie nicht gerade Freudensprünge machen bei dem Gedanken, mich zu sehen, auch wenn Roncaille mich offiziell für ein Briefing erwartet.«
»Tja, früher oder später musst du dich blicken lassen.«
»Allerdings. Aus verschiedenen Gründen. Aber ich glaube, in der Zwischenzeit haben wir privat etwas zu erledigen.«
Hulot ließ den Motor an und nahm die kleine Zufahrtsstraße am Eingangsbereich des Gebäudes, um zum Wendeplatz zu gelangen.
»Ich war kurz im Büro. Unter meine Sachen, die noch im Schreibtisch waren, habe ich auch das Originalvideo geschmuggelt, das noch an seinem Platz lag. Ich habe es durch eine Kopie ersetzt.«
»Glaubst du, es fällt ihnen auf?«
Hulot zuckte mit den Achseln.
»Ich kann immer noch sagen, dass ich es verwechselt habe.
Scheint mir kein schlimmes Vergehen zu sein. Viel schlimmer wäre, wenn sie entdeckten, dass wir eine Spur haben und kein Wort sagen.«
Als sie an der gläsernen Eingangsfront vorbeifuhren, sah Frank 317
nur das Spiegelbild des Himmels. Er drehte den Kopf, um aus der Heckscheibe zu blicken. Bevor das Auto die Zufahrtsstraße hinter sich ließ, um nach links in die Rue des Giroflees zu biegen, nahm er flüchtig das Bild von Helena Parker wahr, die aus dem Eingang des Parc Saint-Roman kam.
318
37
Als sie am Haus der Merciers in Eze-sur-Mer ankamen, wartete Guillaume Mercier im Garten auf sie. Kaum sah er den Peugeot vorfahren, drückte er die Fernbedienung, und das Tor öffnete sich langsam. Hinter ihm lag ein
Weitere Kostenlose Bücher