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Ich Töte

Ich Töte

Titel: Ich Töte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Faletti
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beunruhigte sich nicht sonderlich über das steigende Gefälle. Alles, was er zuvor gedacht hatte, war richtig. Keiner selbst hatte den Gang viele Male in beide Richtungen zurückgelegt, wenn auch unter wesentlich günstigeren Bedingungen, weil er ihn kannte wie seine Westentasche und weil er eine Taschenlampe zu Hilfe nehmen konnte.
    Er dagegen war von absoluter Finsternis umgeben und wusste nicht, was vor ihm so lauerte. Oder besser gesagt, um ihn herum.
    Aber was ihn vor allem zu verdoppelter Vorsicht bewegte, war das Wesen von Jean-Loup. Wenn er an seine Gerissenheit und Heimtücke dachte, so war es nicht auszuschließen, dass er für mögliche Eindringlinge Fallen aufgestellt hatte.
    Frank fragte sich von neuem, wer Jean-Loup eigentlich war und vor allem, wer ihn zu dem gemacht hatte, was er war. Es schien mittlerweile klar, dass sie keinen gewöhnlichen Psychopathen vor sich hatten, keinen schwachen, frustrierten Menschen, der, von seinem Wahnsinn getrieben, eine Reihe von Verbrechen beging, um die Aufmerksamkeit der Presse und des Fernsehens auf sich zu lenken.
    Diese oberflächliche Analyse traf auf die meisten bekannten Falle zu, war aber vom Charakterbild Keiners so weit entfernt wie die Erde von der Sonne.
    Solche Menschen waren gewöhnlich wehleidig, von unterdurchschnittlicher Intelligenz, waren von einer Kraft getrieben, die stärker war als sie selbst, und sie akzeptierten die Handschellen am Ende als Erleichterung.
    Er nicht, er war anders. Natürlich, da war der Leichnam im Kristallsarg, der von seinem Wahnsinn zeugte. Seinen Kopf bevölkerten sicher Gedanken, die auch den hartgesottensten Psychiater vor Entsetzen schaudern lassen würden.
    Doch das war auch schon alles.
    Ansonsten war Jean-Loup stark, schlau, durchtrainiert, zum Kampf ausgebildet. Er war ein mit allen Wassern gewaschener Krieger. Jochen Welder und Roby Stricker, zwei Männer von athletischer Statur und in bester körperlicher Verfassung, hatte er mit höhnischer Leichtigkeit umgebracht. Die Mühelosigkeit, mit der er sich der drei Polizisten in seiner Villa entledigt hatte, war der endgültige Beweis in dieser Hinsicht gewesen, falls es dessen überhaupt noch bedurft hatte. Es war, als wohnten zwei verschiedene Personen in seinem Körper, zwei gegensätzliche Naturen, die einander nachjagten und 553

    versuchten, sich einzuholen und wechselseitig aufzuheben. Vielleicht hatte die passendste Definition seiner Persönlichkeit er selbst gefunden, mit dem Satz der künstlich verzerrten Stimme: »Ich bin einer und keiner …«
    Jean-Loup war ein sehr, sehr, sehr gefährlicher Mann, und als solchen musste man ihn behandeln.
    Frank hatte nicht das Gefühl, seine exzessive Vorsicht sei Ausdruck von Paranoia. Bestimmte Exzesse machen den Unterschied zwischen tot und lebendig. Er wusste das nur zu gut, denn das einzige Mal, als er impulsiv gehandelt und ohne nachzudenken einen Ort betreten hatte, war er nach einer Explosion und fünfzehn Tagen Koma im Krankenhaus aufgewacht. Sollte er das je vergessen, so war sein Körper mit genügend Narben übersät, um ihn immer wieder daran zu erinnern.
    Und er wollte keine unnötigen Risiken mehr eingehen. Das war er sich schuldig, ob er sich nun entschied, Polizist zu bleiben oder nicht. Das war er einer Frau schuldig, die gerade jetzt in einer Halle auf dem Flughafen von Nizza saß und auf ihn wartete. Das war er Harriet schuldig, zusammen mit dem Versprechen, dass er nie vergessen würde.
    Er schob sich weiter voran und versuchte, so wenige Geräusche wie möglich zu machen. Höchstwahrscheinlich war Jean-Loup bereits über alle Berge, doch war es nicht auszuschließen, dass er noch am Ende des Tunnels hockte, um zu warten, bis er freie Bahn hatte.
    Schließlich konnte dieser unterirdische Gang nicht bis in die Peripherie von Menton führen. Er musste irgendwo an den Hängen östlich von seiner Villa herauskommen.
    Auf der Straße hatte es durch die Sperren bestimmt ein ordentliches Durcheinander gegeben: Autoschlangen, Leute, die aus ihren Wagen stiegen, sich auf die Zehenspitzen stellten, sich neugierig umschauten und einander fragten, was denn bloß passiert sei. Es dürfte nicht schwer sein, sich unauffällig unter die Menge zu mischen. Natürlich war das Bild von Jean-Loup in allen Zeitungen Europas abgedruckt und in allen Fernsehnachrichten Europas gezeigt worden, aber Frank hatte schon vor einiger Zeit das Vertrauen in solche Maßnahmen verloren. Die Leute betrachteten für gewöhnlich die

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