Ich Töte
würde.
»Nein.«
Diese eine Silbe errichtete, in all der Ruhe, mit der sie ausgesprochen wurde, eine Mauer zwischen ihnen. Für einen Moment waren sie beide blockiert, als würde ein Film angehalten, dessen Ausgang sie nicht kannten.
74
Es klopfte an der Tür, und Claude Morelli trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten.
»Kommissar …«
»Was gibt’s, Morelli?«
»Hier ist jemand von Radio Monte Carlo …«
»Sag ihm, dass ich jetzt nicht mit Journalisten spreche. Es wird eine Pressekonferenz geben, später. Der Direktor entscheidet, wann.«
»Nein, Kommissar. Das ist kein Journalist. Es ist ein DJ, der ein Abendprogramm moderiert. Er ist zusammen mit dem Intendanten des Senders gekommen. Sie haben die Zeitungen gelesen und behaupten, eventuell Informationen über die Sache am Hafen zu haben.«
Hulot wusste nicht, was er davon halten sollte. Alles, was irgendwie nützlich sein konnte, wäre wahrhaft Manna vom Himmel.
Er hatte jedoch Angst vor den Heerscharen von Verschwörungstheoretikern, die überzeugt davon waren, alles über die Morde zu wissen, oder sich gar selbst für den Mörder hielten. Aber er durfte keinen Hinweis missachten.
Keinen.
Er kehrte an seinen Platz hinter dem Schreibtisch zurück.
»Lass sie hereinkommen.«
Morelli ging hinaus, und wie auf ein willkommenes Zeichen hin erhob sich Frank aus dem Sessel und wandte sich zur Tür. Er war noch nicht ganz dort angekommen, als sie wieder aufging und Morelli in Begleitung von zwei Männern hereinkam, einem jungen Typen von etwa dreißig mit langen, schwarzen Haaren und einem älteren, ungefähr Mitte vierzig. Frank warf ihnen einen flüchtigen Blick zu, machte Platz und nutzte die Gelegenheit, um durch die offene Tür hinauszuschlüpfen. Hulots Stimme hielt ihn auf der Schwelle zurück.
»Frank, bist du wirklich sicher, dass du nicht bleiben möchtest?«
Wortlos verließ Frank Ottobre den Raum und schloss die Tür hinter sich.
75
9
Als er aus dem Präsidium kam, bog Frank links in die Rue Suffren Raymond ein und fand sich nach wenigen Metern auf dem Boulevard Albert Premier wieder, der großen Allee, die sich den Hafen entlangzieht. Ein Kran bewegte sich träge vor dem Hintergrund des azurblauen Himmels. Die Arbeiter waren immer noch damit beschäftigt, die Boxen abzubauen und die Teile auf LKWs zu verladen.
Alles musste seine Ordnung haben.
Er überquerte die Straße und blieb auf der Hafenpromenade stehen, um die vertäuten Schiffe zu betrachten. An der Mole war keine Spur mehr davon zu sehen, was hier geschehen war. Die Forever hatte man fortgeschleppt, sie befand sich mit Sicherheit an irgendeinem Ort, wo die Polizei weitere Untersuchungen vornehmen konnte.
Die Baglietto und das andere Schiff, zwischen denen sie sich eingekeilt hatte, schaukelten noch, als sei nichts geschehen, auf dem Wasser und drückten jedes Mal, wenn die Wellen sie aneinander trieben, sanft ihre Fender zusammen. Die Absperrungen waren längst abgebaut. Es gab nichts mehr zu sehen.
Die Bar am Hafen war zu ihrem normalen Betrieb zurückgekehrt.
Wahrscheinlich hatten die Ereignisse des gestrigen Tages die übliche Kundschaft noch vermehrt um all die Neugierigen, die da sein wollten, wo geschehen war, was geschehen war. Vielleicht kam auch der junge Kapitän, der die Leichen entdeckt hatte, genoss seinen Ruhm und erzählte, was er gesehen hatte. Oder er saß stumm vor einem Glas Bier und versuchte zu vergessen.
Frank setzte sich auf die Steinbank.
Ein Junge sauste auf Rollerblades vorbei, gefolgt von einem kleineren Mädchen, das noch mit seinen Rollschuhen zu kämpfen hatte und ihm mit kläglicher Stimme hinterherrief, er möge warten. Ein Mann mit einem schwarzen Labrador an der Leine wartete geduldig, bis der Hund sein Geschäft gemacht hatte, dann zog er ein Plastiktütchen und eine Schaufel aus der Tasche und sammelte die natürlichen Hinterlassenschaften ein, um sie pflichtbewusst in den nächsten Mülleimer zu werfen.
Ganz normale Leute. Menschen, die lebten wie viele andere, wie alle anderen, vielleicht mit etwas mehr Geld, vielleicht mit etwas mehr Glückseligkeit oder mit der Illusion, sich diese etwas leichter verschaffen zu können. Vielleicht sah das alles auch nur so aus. Und 76
wenn er noch so schön vergoldet sein mag, ein Käfig bleibt immer ein Käfig, und jeder war seines Glückes Schmied. Jeder baute oder zerstörte sein Leben nach den Regeln, die er sich selbst auferlegt hatte. Oder die zu befolgen er sich weigerte.
Es gab kein
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