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Ich Töte

Ich Töte

Titel: Ich Töte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Faletti
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und ohne Grenzen. In seinen Bewegungen liegt unendliche Zärtlichkeit und Zuneigung, als habe er in sich genug Leben und Wärme für sie beide, als würde das Blut in seinen Adern und die Luft in seiner Lunge gerecht zwischen ihm und dem erinnerungslosen Körper in dem gläsernen Sarg aufgeteilt.
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    Mit triumphierender Miene hält er den Spiegel vor das Gesicht des Toten.
    »Fertig!«
    Ein Augenblick verblüfften Schweigens. Die malträtierte Gitarre von Jimi Hendrix besingt das Schlachtfeld, über dem das nicht vorschriftsmäßige Schweigen liegt. In dieser Musik schwingen die Wunden aller Kriege mit und die Suche nach einem Sinn all dieser Toten, gestorben für Werte ohne Wert.
    Eine Träne der Rührung rollt über das Gesicht des Mannes und fällt auf den Leichnam mit der Maske. Es scheint eine Freudenträne des Toten zu sein.
    Vibo, jetzt bin auch ich schön. Ich habe ein Gesicht wie alle anderen.
    »Ja, Paso, du bist wirklich sehr schön, viel schöner als alle anderen.«
    Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll, Vibo. Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen würde. Früher …
    In der Stimme liegt Rührung. Es liegt Dankbarkeit und Trauer darin. Dieselben Gefühle und dieselbe Hingabe, die in den Augen des Mannes liegen.
    Erst hast du mich von meinem Leiden erlöst, und dann hast du mir noch … hast du mir das geschenkt, ein neues Gesicht, ein wunderschönes Gesicht. Wie kann ich diese Schuld jemals abtragen?
    »Davon darfst du nicht einmal sprechen, verstanden? Du darfst das niemals sagen. Ich habe es für dich getan, für uns, weil die anderen uns etwas schuldig sind und uns alles zurückgeben müssen, was sie uns geraubt haben. Ich werde alles tun, um ihnen an deiner Stelle heimzuzahlen, was sie dir angetan haben, das verspreche ich dir …«
    Fast als wolle sie die Drohung in diesem Versprechen unterstreichen, verwandelt sich die Musik plötzlich in die mitreißende Energie von Purple Haze, misshandelt die Hand von Jimi Hendrix die Metallsaiten in seinem lautstarken Lauf zu Freiheit und Vernichtung.
    Der Mann verschließt den Deckel wieder, der sich geräuschlos in die Gummifassung schmiegt. Er geht zum Kompressor auf der Erde hinüber und drückt den Knopf. Schnorchelnd setzt sich die Maschine in Gang und beginnt, die Luft aus dem Inneren des Sarges herauszupumpen. Durch den Vakuumeffekt saugt sich die Maske noch enger am Gesicht des Toten fest und bildet auf der einen Seite eine leichte Falte, die den Leichnam zufrieden lächeln lässt.
    Der Mann wendet sich zum Bett und zieht seinen schwarzen Pul169

    lover aus. Er wirft ihn auf einen Hocker am Fußende des Bettes. Er zieht sich weiter aus, bis er vollkommen nackt ist. Er schlüpft mit seinem athletischen Körper zwischen die Laken, legt den Kopf aufs Kissen und bleibt auf dem Rücken liegen, um zur Decke emporzustarren, in derselben Haltung wie der Leichnam in seinem durchsichtigen Sarg.
    Das Licht geht aus. Vom Nebenzimmer dringt nur der gedämpfte Schein der roten und grünen LED-Anzeigen der Elektrogeräte her
    über, flüchtig wie Katzenaugen auf einem Friedhof.
    Die Musik ist zu Ende.
    In der Grabesstille gleitet der Mann in den Schlaf hinüber, traumlos wie jener der Toten.
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22
    Frank und Hulot kamen auf dem zentralen Platz in Eze Village an und ließen die Boutique von Fragonard, der Parfumfabrik, links liegen. Beklommen erinnerte sich Frank, dass Harriet bei ihrer letzten Europareise diese Essenzen praktisch aufgekauft hatte. Er sah wieder ihren schlanken und weiblichen Körper unter dem schmeichelnden Stoff des leichten Sommerkleides, wie sie die Innenseite ihres Unterarms ausstreckte, um einen Spritzer des Parfüms auszuprobieren. Er sah, wie sie das Parfüm an der Stelle leicht verrieb und darauf wartete, dass die Flüssigkeit verdunstete, bevor sie fast überrascht den Duft des Parfüms, vermischt mit dem ihrer Haut, in sich aufnahm.
    Einen dieser Düfte hatte sie getragen, an dem Tag als …
    »Bist du noch hier, oder muss ich dich von irgendwo anders abholen?«
    Nicolas’ Stimme löschte die Bilder vor Franks Augen mit einem Schlag aus. Er merkte, dass er vollkommen weggetreten gewesen war.
    »Nein, ich bin hier. Nur ein bisschen müde, aber ich bin da.«
    In Wirklichkeit war Nicolas derjenige, der unendlich müde war.
    Er hatte tiefe Ringe um die roten Augen und verspürte nach einer schlaflosen Nacht die dringende Lust auf eine heiße Dusche und ein frisch bezogenes Bett, in dieser Reihenfolge. Frank war am Nachmittag in

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