Ich und Earl und das sterbende Mädchen: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
vollzupumpen«, erklärte sie.
»Also ist das jetzt vorbei?«
»Es hat ja sowieso nichts geholfen.«
Schweigend dachten wir beide über diese morbide Bemerkung nach. Aus irgendeinem Grund sagte ich: »Was deine Haare angeht, ganz bestimmt nicht.« Ich wollte die Stimmung ein bisschen aufhellen, mit dem Resultat, dass sie natürlich noch düsterer wurde. Aber Rachel lachte. Es war irgendwie ein anderes Lachen, so als müsste sie dazu ihren Mund umformen, weil es auf die alte Art zu schmerzhaft war. Es gelang mir erstaunlich gut, nicht darüber nachzudenken.
Ziemlich bald redete ich einfach einen Haufen Zeugs und legte es nicht großartig darauf an, sie zum Lachen zu bringen, und es war fast wieder so wie damals, bevor sie ins Krankenhaus musste und total depressiv wurde. Wir hatten uns einfach hingefläzt in ihrem dunklen, von Postern und Kissen beherrschten Zimmer, und ich quasselte unsäglich viel über mein Leben, während sie nur zuhörte und alles in sich aufnahm und es sich fast so anfühlte, als gingen wir wieder ganz normal miteinander um. Man konnte beinahe vergessen, dass sie beschlossen hatte zu sterben.
Übrigens, wenn jemand seine Krebstherapie abbricht und man dann darauf hinweist, dass so was eine Entscheidung zum Sterben ist, rasten alle aus und fallen über einen her. Mom zum Beispiel. Da will ich jetzt gar nicht drauf eingehen.
Aber weiter.
»Also, Gretchen führt sich einfach auf wie eine Irre.«
»Ach ja?«
»O Mann. Mädchen in dem Alter sind das Letzte. Ständig das Gekreische und Türenknallen. Manchmal ohne erkennbaren Grund. Warst du auch so? Mit vierzehn?«
»Ich habe mich hin und wieder mit meiner Mutter gestritten.«
»Gretchen regt sich sogar über Cat Stevens auf. Erst streichelt sie ihn, und dann dreht er durch und beißt, was er sein Leben lang gemacht hat, aber sie sagt dann plötzlich so Sachen wie: Scheiße, wie ich diesen saublöden Cat Stevens hasse . Sie findet, dass er aussieht wie eine große Nacktschnecke. Was natürlich stimmt, aber das ist ja irgendwie das Tolle an ihm.«
»Dass er wie eine Nacktschnecke aussieht?«
»Ja, er hat diese hässliche gestreifte Nacktschneckenfarbe. Er ist der Beiß-Champion der Nacktschneckenwelt.«
Ich schätze mal, es war eigentlich unmöglich, komplett zu vergessen, dass sie beschlossen hatte zu sterben. Weil das die ganze Zeit, während wir uns unterhielten, in meinem Hinterkopf rumorte und mich die Vorstellung, dass Rachel sich dem Ende ihres Lebens näherte, ein bisschen stresste. Nein, eigentlich stresste es mich nicht, aber es lastete irgendwie auf mir und nahm mir die Luft.
Schließlich sagte Rachel: »Und wie läuft’s mit deinem neuen Film?«
»Oh, der! Ja. Ziemlich gut.«
»Ich freue mich schon sehr darauf.«
Irgendetwas an ihrem Tonfall sagte mir, dass sie Bescheid wusste. Ich meine, es wäre ja auch bescheuert gewesen zu glauben, dass sie nicht davon erfahren würde.
»Ja, äh … Hey. Das solltest du wahrscheinlich wissen: Er ist für dich. Beziehungsweise, er geht mehr oder weniger um dich, und äh, ja.«
»Ich weiß.«
Ich versuchte, cool zu bleiben.
»Ach, du wusstest das schon?«
»Ja, ein paar Leute haben es mir erzählt.«
»Ach ja? Wer denn?« Meine Stimme wurde irgendwie laut und schrill. Tatsächlich klang ich in diesem Moment ein bisschen wie Denise Kushner.
»Keine Ahnung, Madison hat mir davon erzählt. Mom hat irgendwie etwas erwähnt. Anna, Naomi. Earl. Ein paar Leute.«
»Oh«, sagte ich. »Äh, da fällt mir ein: Ich muss los und noch was mit Earl besprechen.«
»Okay«, sagte sie.
Vierunddreißigstes Kapitel – Fight Club, nur lahmarschiger
Earl und ich hatten uns noch nie geprügelt. Hauptsächlich, weil ich feige bin, und teilweise auch, weil wir ziemlich gut zusammenarbeiteten, mit klar umrissenen Rollen. Was ich damit sagen will: Ich war noch nie richtig sauer auf ihn gewesen und außerdem habe ich eine panische Angst vor Auseinandersetzungen. Vor allem mit Earl, wegen seines Windmill-Kicks.
Aber ich war gewaltig angepisst, dass er Rachel von dem Film erzählt hatte. Darum ging ich hin zu ihm und wollte ihn mir vorknöpfen.
Allein davon zu schreiben, bereitet mir stechende Schmerzen in den Achselhöhlen.
Auf dem ganzen Weg zu seinem Haus brabbelte ich vor mich hin. Genauer gesagt, ich probte schon mal alles, was ich ihm zu sagen hatte.
»Earl«, grummelte ich in mich hinein, »die Grundlage eines jeden guten Arbeitsverhältnisses ist Vertrauen. Und ich kann dir jetzt in keiner
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