Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich war Hitlerjunge Salomon

Ich war Hitlerjunge Salomon

Titel: Ich war Hitlerjunge Salomon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Perel
Vom Netzwerk:
ausländische Sendungen
    im Radio. Jedes Mal, wenn die Lokalzeitung ankündigte, daß
    eine Rede Hitlers ausgestrahlt werden würde, herrschte bei
    uns zu Hause bange Spannung. Hitler wußte hervorragend,
    wie man die Leidenschaften und Gefühle der Bevölkerung
    aufpeitschte, was uns stets einen panischen Schrecken verur-
    sachte. In seinen Reden beglich er gewöhnlich seine Rechnun-
    gen mit der ganzen Welt. Theatralisch sagte er Entbehrung,
    Mangel und verheerende Zustände voraus, falls das deutsche
    Volk nicht erwache und gegen den Versailler Vertrag zu Felde
    ziehe. Ich habe noch heute sein Gebrüll im Ohr: »Wenn es
    dem internationalen Finanzjudentum nochmals gelingen sol te,
    unser Volk in einen Weltkrieg zu ziehen, damit es noch mehr
    horten und profitieren kann, wird das die Ausrottung der jü-
    dischen Rasse in Europa bedeuten.« Im Augenblick bemühte
    er sich um die Verwirklichung seiner Vorhersage. Selbst in
    den schlimmsten Alpträumen hätte ich mir nicht vorzustel en
    vermocht, daß ich eines Tages gezwungen sein würde, einen
    Eid auf ihn abzulegen und zu seiner Anhängerschar zu gehören.
    Ich weiß nicht, wie lange ich so dastand.
    Plötzlich hörte ich Schritte hinter der Tür, vor der ich stand.
    Fluchtartig verließ ich das Treppenhaus und verschwand auf
    der Straße. Auf dem Weg schaute ich in den Hinterhof von
    Aaron Goretski, wo wir Tischtennis gespielt hatten. Natür-
    lich war keine Tischtennisplatte mehr vorhanden. Etwas in
    mir weigerte sich einfach, die Tatsache anzuerkennen und
    187
    hinzunehmen, daß eine solche tief verwurzelte Welt im Hand-
    umdrehen hatte ausgelöscht werden können, ohne daß ein
    Überlebender, ein Zeuge unserer Existenz blieb. Ziellos irrte
    ich durch die Straßen.
    Das Viertel, in dem die Zakontnastraße lag, zog mich
    magisch an. Ich ging jetzt in den freien Stunden zwischen
    den Fahrten ins Ghetto regelmäßig dort spazieren. Die schok-
    kierenden Bilder, die ich im Ghetto gesehen hatte, brannten
    noch in mir, und der Kontrast zum unbeschwerten Leben
    der anderen brach mir das Herz.
    Gedankenversunken meinen Erinnerungen hingegeben wie
    ich war, hätte ich beinahe ein anmutiges junges Mädchen
    übersehen, das neben mir stehenblieb. Sie schaute erstaunt
    meine schwarze Uniform an, ein verführerisches Lächeln
    auf den Lippen. Ich hatte alles andere im Sinn als weltliche
    Freuden oder romantische Begegnungen, wandte mich ihr aber
    trotzdem zu und fragte sie nach dem Grund ihrer auffälligen
    Neugier: »Sind Sie wirklich Mitglied der Hitlerjugend im
    Reich?« fragte sie etwas schüchtern. »Ja, von Braunschweig,
    ich komme aus Nord-Niedersachsen«, antwortete ich mit
    deutlichem Stolz. Mein plötzlicher Hochmut und die Tat-
    sache, daß ich mich vor diesem hübschen Mädchen in die
    Brust werfen konnte, machten mir etwas warm ums Herz
    und milderten meine Verlorenheit. Sie sprach Deutsch mit
    slawischem Akzent. Ich hatte offensichtlich eine Volksdeutsche
    vor mir. Ich freute mich darüber, daß sie mich angesprochen
    hatte und lud sie ein, mit mir spazierenzugehen. Sie nahm
    an, und wir gingen in der Richtung weiter, die ich zuvor
    eingeschlagen hatte. Ich hatte wohl das Richtige gesagt, mei-
    ne Gesprächspartnerin schien beeindruckt; ich selbst wurde
    188
    dadurch etwas von meinem wahren, dem erschütterten und
    schmerzerfüllten Ich abgelenkt.
    Meine neue Freundin schaute mich unentwegt bewundernd
    an. Sie erzählte mir, sie stamme aus der Ukraine und sei im
    Zuge der deutschen Umsiedlungspolitik mit ihrer Familie in
    den Westen gekommen. Ihr Vater leiste irgendwo im Osten
    seinen Wehrdienst, und sie wohne mit ihrer Mutter und ihrer
    Schwester in einer neuen Wohnung, die man ihnen bei ihrer
    Ankunft kostenlos zugeteilt habe. Ihren Worten zufolge war sie
    noch nie im Reich gewesen, was aber ihr sehnlichster Wunsch
    zu sein schien. Zwar hatte sie schon Wehrmachtssoldaten ge-
    troffen, aber noch nie einen leibhaftigen Hitlerjungen wie mich.
    Die jungen Volksdeutschen verehrten die Hitlerjugend und
    hofften, daß sich die Bewegung bald auch in Lodz gründen
    würde. Ihre Begeisterung war ehrlich, und es machte mir Spaß,
    mich mit ihr zu unterhalten. Es berührte mich eigenartig,
    daß das Schicksal ausgerechnet mich dazu ausersehen hatte,
    die junge Elite des Führers zu repräsentieren, zu der ich wider
    Willen gehörte. Um sie nicht zu enttäuschen und meine Rolle
    eines Vertreters des Reiches überzeugend zu spielen, heuchelte
    ich ebensogroße

Weitere Kostenlose Bücher