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Ich zähle bis drei

Ich zähle bis drei

Titel: Ich zähle bis drei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carter Brown
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fünf Meter vom
obersten Treppenabsatz entfernt befand sich ein Rundbogendurchgang, der mit
schwerem scharlachrotem Samt verhangen war. Der ruritanische Botschafter zog eine Partie Samt zurück und forderte mich mit einer
Handbewegung auf voranzugehen. Ich landete in einer Art Vorzimmer, meine Füße
versanken im dichten Flor des kostbaren Teppichs, und hinter mir schloß sich
der Vorhang.
    Die Wände des rechteckigen
Raumes waren in dunkler Eiche getäfelt, die beschirmten Lampen tauchten sie in
ein warmes, intimes Licht. Das Gemälde einer üppigen Nackten von Tizian beherrschte eine Wand. Die plumpen, überladenen Sessel, die
zwanglos im Raum herumstanden, waren offensichtlich preisgekrönte Relikte aus
einem weniger funktionalistischen Zeitalter. Eine Tür am anderen Ende des
Raumes öffnete sich, und eine großgewachsene blonde Venus kam auf mich zu. Sie
trug ein knöchellanges Kleid von zarter blattgrüner Farbe. Erst als sie nahe
bei mir war, entdeckte ich, daß das Kleid total durchsichtig war und die Venus
total nichts darunter trug. Die Wirkung war atemberaubend erotisch, so, als
sähe man am hellichten Tage ein Mädchen splitternackt
über die Park Avenue promenieren.
    »Mr. Boyd?« Ihre Stimme war
angenehm unpersönlich, was irgendwie die erotische Anziehungskraft noch
verstärkte. »Mr. Reiner erwartet Sie im Speisesaal .«
    Das rhythmische Wippen ihres
runden Popos hatte eine Art hypnotischer Wirkung auf mich, der ich ihr in den
kreisrund angelegten Speisesaal folgte, in dem die Tische in Nischen an den
Wänden standen und dessen Mitte aus einer geräumigen, leeren Fläche bestand.
Mir fiel auf, daß vor manchen Nischen die Vorhänge zugezogen waren, und einen
Augenblick lang ging meine Phantasie mit mir durch. Dann blieb die blonde Venus
vor einer unverhängten Nische stehen und machte mit der Hand eine leichte Geste
zu mir hin.
    »Mr. Reiner«, sagte sie leise,
»Ihr Gast .«
    »Vielen Dank, Marta«,
antwortete ein wohltönender Bariton. »Schicken Sie uns bitte jemanden für die
Drinks .«
    »Selbstverständlich, Mr.
Reiner.« Die blonde Venus nickte und entfernte sich.
    Ich schob mich in die Nische,
und meine Augen, die sich langsam an das gedämpfte Licht gewöhnten, entdeckten
zunächst die leuchtende Glatze und erst dann die anderen Einzelheiten des
Gesichts.
    »Ich bin Marvin Reiner«, sagte
er, »bitte, nehmen Sie Platz, Mr. Boyd .«
    Er war groß gewachsen und breit
gebaut. Sein Gesicht glich mit seinen zerfurchten Gipfeln und Kratern einer
Mondlandschaft. Die leicht vorstehenden braungefleckten Augen saßen tief in den
Augenhöhlen, unter buschigen schwarzen Brauen, und gaben seinem Gesicht einen
unwirklichen, fast karikaturistischen Zug. Die weit gebogenen Nasenflügel und
der schmallippige, zusammengepreßte Mund hatten etwas Raubvogelhaftes . Sollte jemals jemand Marvin Reiner
mögen, ließ er sich auf ein verdammtes Risiko ein, ging es mir durch den Kopf.
Ich setzte mich auf die eingebaute Bank und suchte fahrig nach einer Zigarette.
    »Was darf ich Ihnen zu trinken
bestellen, Mr. Boyd ?«
    »Ein Martini wäre großartig .«
    »Ausgezeichnet!« Er lächelte
Einverständnis. »Ich hoffe, Sie werden mit mir essen .«
    »Vielen Dank, ich...« Die Worte
blieben mir angesichts der blonden Neuerscheinung in unserer Nische im Halse
stecken.
    Diese Dame war klein geraten,
mehr der Taschenvenustyp. Sie trug das strohfarbene Haar um den Kopf wie eine
schimmernde Kappe, dazu einen schwarzen Minislip aus Spitze, der hinsichtlich
seiner Winzigkeit ein modisches Meisterstück war, und dazu kniehohe
Kalblederstiefel. Sonst nichts.
    »Drinks, Mr. Reiner?« Ihre
rauchige Stimme machte es zu einer Einladung ins Paradies.
    »Zwei doppelte Martinis,
Della«, sagte er. »Und essen werden wir, was Luigi uns empfiehlt .«
    Sie machte flink kehrt, und die
plötzliche Bewegung ließ ihre üppigen Brüste tanzen. Ich zündete meine
Zigarette am falschen Ende an und verbrachte die nächsten zehn Sekunden damit,
den ekelhaften Geschmack des Filters auszuhusten.
    »Ich schätze, dieser Klub ist
heutzutage einmalig«, eröffnete Reiner das Gespräch. »Das viktorianische
England wußte Vergnügungen dieser Art noch zu schätzen. Heute sind wir
bedauerlicherweise in das Zeitalter des kleinen Mannes abgestiegen — Nutten in
Hauseingängen, auf der Suche nach schnellem Umsatz. Dieser Klub ist bestrebt,
seinen Mitgliedern ein von der Außenwelt hermetisch abgeriegeltes Refugium zu
schaffen — elegante Umgebung,

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