Ihr stolzer Sklave
dass ich gern hier bin.“ Sie betrachtete ihn und überlegte, ob er gerade den Versuch gemacht hatte, spaßig zu sein. Dann gab sie den Gedanken auf und fragte: „Hast du daran gedacht, etwas zu essen? Oder war dir das zu lästig?“
„Ich habe von dem Proviant genommen, den Davin mir schickte.“ Es war Essen der schlechtesten Sorte gewesen, das Brot hart und trocken, anders als das, das er mittags bekommen hatte. Trotzdem hatte er alles aufgegessen.
Er nahm das Brett zur Hand, das er am Tag zuvor schon benutzt hatte, und er begann, ihre Augen zu zeichnen. Sie waren von einem tiefen Meeresblau, nur voller Traurigkeit. Es waren gequälte Augen. „Ich sah dich heute Morgen weinen.“
„Das ist nichts, was dich angeht.“
Wie wahr. Obwohl Frauen oft weinten, waren Tränen etwas, das er nicht gern sah. Seine Schwestern hatten das oft zu ihrem Vorteil ausgenutzt und sie fließen lassen, wann immer sie etwas haben wollten. Sie wussten, dass er dann ihren Wünschen nachgeben würde.
Iseult weinen zu sehen war etwas anderes. Er spürte, dass ihr Kummer über all das hinausging, was Davin wieder würde in Ordnung bringen können. Vielleicht weinte sie auch um seinetwillen.
„Wir alle haben unsere Geheimnisse“, erwiderte er. „Behalte deines ruhig für dich, wenn du willst.“
Er wechselte zu einer anderen Stelle auf dem Brett und zeichnete jetzt ihren Mund. Er war wohlgeformt, aber eher durchschnittlich. Nie hatte er ein Lächeln auf ihm gesehen, noch nicht einmal in Gegenwart ihres Verlobten.
Iseult richtete sich auf und schien sich jetzt noch unbehaglicher zu fühlen als gestern. „Wird es sehr lange dauern?“
Er ließ die Holzkohle sinken. „Du kannst jederzeit gehen, wann immer du willst.“
„Anders als du, ich weiß.“ Sie verschränkte die Arme. „Glaub nicht, ich hätte nicht daran gedacht. Aber je schneller ich das hier hinter mich bringe, desto weniger Zeit muss ich in deiner Hütte verbringen.“ Seine Aufmerksamkeit war wieder auf ihren Mund gerichtet, und er umfasste fest das Kohlestück. Während er zeichnete und die Minuten vergingen, wurden ihre Lippen weicher.
Er hatte sich geirrt. Es war kein gewöhnlicher Mund. Wenn sie sich entspannte, war dieser Mund voll und sinnlich, und jeder Mann würde diese Frau küssen wollen. Ob sie wohl genauso gut schmeckte, wie sie roch?
Das Stück Kohle rutschte ihm aus den Fingern. Hör auf, über sie nachzudenken .
Gedankenverloren stützte Iseult das Kinn in die Hand und widmete ihre Aufmerksamkeit dem Herdfeuer. Ihm gefiel die Art, wie sie sich nicht genötigt fühlte, die Stille mit Geplapper zu füllen. Erst nach einer Weile sprach sie wieder.
„Hast wirklich du diese Figur des Jungen geschnitzt? Oder war das eine Lüge?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: „Um deine Freiheit zu erlangen, hättest du Davin vermutlich alles erzählt.“
„Ich lüge nicht.“ Er warf die Kohle beiseite und griff nach einem anderen Stück. Er musste nicht mit ihr über sein Können streiten. Das Holz selbst würde den Beweis erbringen.
Er hörte, wie eine Flüssigkeit eingeschenkt wurde. Iseult durchquerte den Raum und brachte ihm einen Becher Met. Sie stellte sich neben ihn, und er hatte keine Zeit mehr, die Zeichnung vor ihr zu verbergen.
Den Kopf zur Seite geneigt, betrachtete sie seine Arbeit, während sie einen Schluck aus ihrem Holzbecher nahm. „Du hast gar nicht mein Gesicht gemalt.“
Er hatte drei verschiedene Ausdrucksformen ihrer Augen gezeichnet. An einer anderen Stelle des Brettes hatte er ihren Mund gemalt. Er selbst war mit seinen Zeichnungen noch nicht zufrieden, denn sie hatten Iseults Wesen bislang nicht eingefangen.
„Nein. Es ist nicht nötig, das ganze Gesicht zu zeichnen“. Er nahm den Becher entgegen und stellte ihn neben sich.
„Warum nicht?“
Weil er es sich bereits eingeprägt hatte. Weil man eine Frau von ihrer Schönheit nicht leicht vergessen würde.
Er trank den Met und genoss seine Süße. „Weil ich gut bin in dem, was ich mache.“ Er stellte den Becher ein weiteres Mal zur Seite und griff wieder nach der Kohle. Dieses Mal konzentrierte er sich auf die Linie ihrer Wange, die Feinheit ihres Ohrs.
Iseult beugte sich vor und sah ihm zu, und wieder litt er Tantalusqualen wegen ihres Duftes. Er war süß, mit einer Spur Wildheit.
„Ich möchte sehen, was du bis jetzt geschnitzt hast.“ Ihre ruhig vorgetragene Bitte berührte ihn
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