Ihr wahrer Name
bringe lieber einen Flügel in den dritten Stock. Da weiß man dann wenigstens, was man getan hat, und man ist fertig.«
Ich stellte mein Privattelefon auf den Anrufbeantwortungsdienst um, während ich ausführlich badete und meine Brüste abschrubbte, als sei das Blut durch die Poren in meine Haut gedrungen. Auch meine Haare wusch ich mehrmals, bis ich das Gefühl hatte, sauber genug zu sein, um aus der Wanne herauszukönnen.
Eingehüllt in einen Frotteemantel, kehrte ich ins Wohnzimmer zurück: Ich hatte Radbukas Mappe auf den Klavierstuhl fallen lassen, als ich in die Wohnung gerannt war. Einen langen Augenblick starrte ich Ulfs verunstaltetes Gesicht an, das nun mit dem Blut noch schlimmer ausschaute. Diese Papiere hatte ich seit Pauls Auftauchen bei der Party von Max am Sonntag sehen wollen. Aber jetzt, da ich sie hatte, brachte ich es fast nicht fertig, sie durchzublättern. Das war wie bei den besonderen Geburtstagsgeschenken meiner Kindheit -manchmal toll wie zum Beispiel in dem Jahr, in dem ich Rollschuhe bekam, manchmal eine Enttäuschung, wie in dem Jahr, in dem ich mir ein Fahrrad gewünscht hatte, aber ein Kleid fürs Konzert erhielt. Wahrscheinlich hätte ich es nicht ertragen, die Mappe aufzuschlagen und eine Enttäuschung zu erleben.
Irgendwann öffnete ich dann doch das schwarze Band. Zwei in Leder gebundene Bücher fielen heraus. Auf der Vorderseite war in abblätternden Goldbuchstaben jeweils »Ulf Hoffman« aufgedruckt. Deshalb also hatte Rhea Wiell so verächtlich gelächelt: Ulf war sein Vorname gewesen. Ich hätte jeden Ulf in Chicago anrufen können und Pauls Vater trotzdem nie aufgespürt. Aus der Mitte des einen Buches hing ein weiteres schwarzes Band. Ich legte das andere weg und schlug dieses auf. Das Papier und die kunstvolle Schrift sahen ganz ähnlich aus wie die des Fragments, das ich in Howard Fepples Büro gefunden hatte. Ein von sich eingenommener Mensch, das hatte die Frau von Cheviot gesagt, der teures Papier für seine Buchhaltung verwendete. Ein häuslicher Tyrann, lediglich Herrscher über das winzige Reich seines Sohnes? Oder ein SS-Mann in Tarnung?
Die Seite vor mir enthielt eine Liste von mindestens zwanzig Namen, vielleicht sogar dreißig. Trotz der verschnörkelten Schrift fiel mir sofort ein Name ungefähr auf halber Höhe der Seite auf:
Radbuka 1943?
Daneben stand in so schwerer roter Schrift, daß sie sich durchs Papier drückte, eine Bemerkung von Paul: Sofie Radbuka. Meine Mutter, die um mich weint, die für mich starb, die all die Jahre im Himmel für mich betet.
Ich bekam eine Gänsehaut und mußte mich zusammenreißen, den Blick nicht von der Seite abzuwenden. Nein, ich mußte das Ganze als Rätsel behandeln, wie damals bei meiner Pflichtverteidigung eines Mannes, der seiner eigenen Tochter die Haut abgezogen hatte. An jenem Tag hatte ich vor Gericht mein Bestes gegeben, ja, aber nur, weil es mir gelungen war, mich von dem Fall zu distanzieren und ihn als logisches Problem zu sehen.
Alle Einträge folgten dem gleichen Muster: ein Jahr mit Fragezeichen, dann eine Zahl. Die einzige Abweichung, die ich feststellen konnte, war, daß manche ein Kreuz und dahinter einen Haken hatten, andere nur ein Kreuz.
Bedeutete das, daß sie 1943 gestorben waren oder 1941? Mit zweiundsiebzig, fünfundvierzig oder irgendwas.
Ich schlug das zweite Buch auf. Darin befanden sich ähnliche Informationen wie auf dem Fetzen, den ich in Fepples Aktentasche gefunden hatte: Daten, alle auf europäische Weise aufgeschrieben, also Tag vor Monat, die meisten davon abgehakt, andere nicht. Was hatte Howard Fepple mit einem Stück von Ulf Hoffmans altem Schweizer Papier gemacht?
Ich ließ mich auf den Klavierstuhl plumpsen. Ulf Hoffman. Al Hoffman. War er Paul Radbukas Vater? Der alte Vertreter der Midway Agency mit seinem Mercedes, der immer in seine Bücher eintrug, wer bezahlt hatte? Dessen Sohn eine teure Ausbildung genossen, es aber nie zu etwas gebracht hatte? Aber hatte er auch in Deutschland Versicherungen verkauft? Der Mann, dem diese Bücher gehörten, war in die Staaten eingewandert.
Ich suchte Rhonda Fepples Nummer aus meiner Aktentasche. Es klingelte sechsmal, bevor der Anrufbeantworter das Gespräch entgegennahm. Wieder bekam ich eine Gänsehaut, denn Howard Fepples Stimme bat mich, eine Nachricht zu hinterlassen. Ich erinnerte Rhonda daran, daß ich Detective Warshawski war, die sie am Montag besucht hatte, und bat sie, mich so schnell wie möglich unter meiner Handynummer
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