Ihr wahrer Name
anzurufen, die ich ihr durchgab. Dann wandte ich mich wieder den Büchern zu. Wenn Al Hoffman und Ulf ein und derselbe Mann waren, was hatten dann diese Bücher mit Versicherungen zu tun? Ich versuchte, eine Verbindung zwischen den Einträgen und meinem Wissen über Versicherungspolicen herzustellen, erkannte jedoch keinen Sinn. Im vorderen Teil des ersten Buches befand sich eine lange Liste mit Namen und anderen Daten, die ich nicht entschlüsseln konnte.
Die Liste ging über Seiten. Ich schüttelte verständnislos den Kopf, beäugte die kunstvolle Schrift genauer, bemühte mich, ihr einen Sinn zu entlocken. Was daran hatte Paul zu der Überzeugung geführt, daß Ulf bei den Einsatzgruppen gewesen war? Wieso glaubte er, der Name Radbuka sei der seine? Die Papiere seien kodiert, hatte er mir am Vortag vor dem Krankenhaus entgegengebrüllt - wenn ich an Rhea glaubte, würde ich sie begreifen. Was hatte sie in diesen Papieren gesehen, als er sie ihr zeigte?
Und wer war diese Ilse Bullfin, die auf ihn geschossen hatte? War sie seiner Phantasie entsprungen? War die Person ein ganz normaler Einbrecher, und er hatte sie für einen Angehörigen der SS gehalten? Oder wollte diese Person an die Bücher gelangen, die sich jetzt in meinem Besitz befanden? Oder war noch etwas anderes in dem Haus gewesen, das der Eindringling nach seiner hektischen Suche mitgenommen hatte?
Auch daß ich diese Fragen an meinem Wohnzimmertisch auf einen Block schrieb, half nicht, obwohl es mir nun immerhin gelang, das Material ruhiger zu betrachten. Schließlich schob ich die Bücher beiseite, um nachzusehen, was sich sonst noch in der Mappe befand. In einem Umschlag steckten Hoffmans Einwanderungsdokumente, angefangen mit seiner Einreiseerlaubnis vom 17. Juni 1947 in Baltimore, zusammen mit »Sohn Paul Hoffman, geboren am 29. März 1941 in Wien«. Paul hatte das ausgestrichen und darüber geschrieben: »Paul Radbuka, den er aus England gestohlen hat.« In den Dokumenten stand auch der Name des holländischen Schiffes, auf dem sie angekommen waren, dazu kamen eine Bestätigung, daß Hoffman kein Nazi gewesen war, die Unterlagen über Hoffmans Aufenthaltsgenehmigungen, die regelmäßig verlängert worden waren, und schließlich seine Einbürgerungspapiere aus dem Jahr 1971. Darauf hatte Paul geschmiert: »Nazikriegsverbrecher: Rückgängig machen und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit deportieren.« Paul hatte im Fernsehen gesagt, Hoffman habe ein jüdisches Kind gebraucht, um in die Staaten kommen zu dürfen, aber in den Einreisedokumenten konnte ich nirgends etwas über Pauls oder Hoffmans Religionszugehörigkeit finden.
Ich würde besser denken können, wenn ich mich ein bißchen ausruhte. Es war ein langer Tag gewesen, an dem ich nicht nur den verletzten Paul, sondern auch seine grausige Zuflucht gefunden hatte. Wieder stellte ich ihn mir als kleines Kind vor, eingesperrt in der Kammer, voller Angst, und die Ohnmacht in seiner heutigen Rache genauso groß wie damals in seiner Kindheit.
40
Geständnis
Ich schlief tief, aber wenig erholsam, gequält von dem Traum, in eine kleine Kammer mit hakenkreuzverschmierten Gesichtern eingesperrt zu sein, vor deren Tür Paul wie Rumpelstilzchen herumhüpfte und sang: »Du wirst meinen Namen nie erfahren.« Es war eine Erleichterung, als mein Anrufbeantwortungsdienst mich um fünf weckte: Eine Frau namens Amy Blount habe versucht, mich zu erreichen. Sie hatte gesagt, sie wolle mir anbieten, sich für mich ein Dokument anzusehen, und könne in etwa einer halben Stunde in meinem Büro sein, wenn mir das recht sei. Eigentlich wollte ich zu Max. Andererseits hatte Mary Louise bestimmt einen Bericht über ihr Gespräch mit den Freunden und Nachbarn von Isaiah Sommers hinterlassen. Und außerdem würde Amy Blount möglicherweise tatsächlich etwas mit den Büchern von Ulf Hoffman anfangen können: Schließlich war sie Historikerin und kannte sich aus mit merkwürdigen Dokumenten. Ich steckte Ninshubur in den Trockner und rief Ms. Blount an, um ihr zu sagen, daß ich auf dem Weg zum Büro sei. Sobald ich dort war, machte ich Kopien von ein paar Seiten in Hoffmans Büchern, darunter auch von denen mit Pauls dicken Randbemerkungen.
Während ich auf Ms. Blount wartete, las ich Mary Louises ordentlich getippten Bericht. Sie hatte wenig Erfolg gehabt in der South Side. Keinem von Isaiahs Freunden und Kollegen war jemand eingefallen, dessen Zorn auf Sommers so groß sein konnte, daß er ihn an die Bullen
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