Illusion - das Zeichen der Nacht
steckte. Er riss sie heraus, drückte die Klinke nach unten und steckte den Kopf durch die Tür. Wie zu erwarten, war niemand zu sehen.
Am Ende des Flurs, vor dem Aufzug, stand ein Wägelchen voller Bettwäsche und Handtücher. Alex ließ die Tür ins Schloss fallen und ging darauf zu. Vielleicht hatte ja eins der Zimmermädchen Jana gesehen und konnte ihm sagen, wann sie gegangen war. Sonst würde er an der Rezeption fragen. Irgendjemandem musste doch ein hübsches, dunkelhaariges Mädchen aufgefallen sein, das einen schicken Koffer hinter sich herzog.
Gerade als er bei dem Wäschewägelchen war, sah er eine junge Frau mit Schürze aus einem der Zimmer gegenüber kommen. Die Hotelangestellte blickte ihn fragend an. Sie trug das honigfarbene Haar in einem dicken Zopf um den Kopf geschlungen und ihre mandelförmigen haselnussbraunen Augen waren so groß, dass sie wie überrascht aussahen. Alex fiel ein Tattoo auf, ein Ornament, das sich an ihrem Hals hinaufrankte, bis es hinter ihrem rechten Ohr verschwand. Nach so vielen Monaten, die er mit Jana verbracht hatte, wusste er genug über die Medu, um ein Tattoo des Zenkai-Klans zu erkennen, wenn er es vor sich hatte.
Als ihm klar wurde, dass das Zimmermädchen einem der Klane angehörte, wurde er unruhig. Die Zenkai waren keine Feinde der Agmar, aber trotzdem kam ihm der Zufall, bei den Hotelangestellten auf eine Medu zu stoßen, plötzlich verdächtig vor. Was, wenn Glaukos sie bezahlte, damit sie hinter Jana herspionierte? Logisch wäre gewesen, wenn er diese Mission einem Varulf anvertraut hätte, aber Glaukos handelte nicht immer logisch.
Der beharrliche Blick des Mädchens signalisierte ihm, dass sie darauf wartete, dass er etwas sagte.
»Entschuldigung«, begann er. »Hast du vorhin vielleicht ein dunkelhaariges Mädchen aus Nummer 12 kommen sehen?«
»Du meinst Jana, die Agmar-Prinzessin?« Sie sprach ganz leise und doch drangen ihre Worte deutlich an Alex’ Ohren. »Wundere dich nicht, sie ist keine Unbekannte für uns. Ja, ich habe sie gegen neun herauskommen sehen, vielleicht ein bisschen früher. Sie hat mich nach dem Personalausgang gefragt. Sie wollte nicht an der Rezeption vorbei.«
»Hatte sie einen Koffer dabei?«
»Einen wunderschönen Vuitton. Für so einen Koffer würde ich sogar meinen Zopf hergeben.«
Alex nickte und wusste nicht, was er noch sagen sollte. Auf den Lippen des Mädchens tanzte der Anflug eines Lächelns. »Ich hoffe, du verschwindest nicht auch durch die Hintertür«, sagte sie scherzend. »Schließlich muss jemand das Zimmer bezahlen. Außerdem habe ich nicht vor, dir zu helfen; du bist kein Medu.«
Es kam Alex so vor, als funkelten ihre Augen bei diesen letzten Worten kalt auf. Vielleicht wusste sie auch, wer er war – das würde diesen Blick erklären. Die Medu sahen in ihm den Menschen, der ihnen einen großen Teil ihrer althergebrachten magischen Fähigkeiten genommen hatte, und deshalb schätzten sie ihn nicht besonders.
Alex verabschiedete sich und ging langsam über den Flur zurück. Janas Flucht ärgerte ihn maßlos, aber zugleich war er insgeheim erleichtert. Wenn sie nach Hause geflogen war, bedeutete das, dass sie darauf verzichtet hatte, weiter nach dem Buch zu suchen. Und damit hatte sich das Thema für ihn ebenfalls erledigt.
Zurück in der Suite, legte er sich wieder aufs Bett. Er hatte die Läden der Balkontür ein Stück geöffnet und das weiche zartgrüne Licht Venedigs ergoss sich in den Raum. Jetzt gab es plötzlich überhaupt nicht Dringendes mehr. Jana war fort und wollte in Ruhe gelassen werden. Er konnte sich ein paar Stunden Zeit zum Nachdenken nehmen. Um sich auf die neue Situation einzustellen.
Dreimaliges entschiedenes Klopfen an die Zimmertür riss ihn aus dem Dämmerzustand, in den er abgeglitten war. Sein Herz machte einen Satz. Sie musste es sich im letzten Moment anders überlegt haben. Er konnte es kaum glauben: Sie war wieder da …
Er stürzte barfuß zur Tür, und bevor es erneut klopfte, hatte er bereits die Hand auf der Klinke. Der Schwung, mit dem er öffnete, hätte ihn beinahe aus dem Gleichgewicht gebracht.
Draußen, umrahmt vom stillen Halbdunkel des Flurs, stand David.
—
»Hast du mich erwartet?«, fragte Janas Bruder zur Begrüßung und betrat mit einem spöttischen Grinsen die Suite.
»Ich dachte, es ist jemand anders.«
Auf dem Weg durch den Flur ins große Zimmer, das Jana benutzt hatte, blieb David einen Moment vor der Tür zum anderen Raum stehen.
»Getrennte
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