Iluminai - Das Zeichen der Drachenhüter (Iluminai - Kabal Shar) (German Edition)
von der Sehne schnellt, jagte es am Geländer des Rundganges entlang, auf einen neuen Tunnel zu, der Richtung Sehenden Turm führen würde.
Der Untergrund des Tunnels bestand aus lockerer Erde, die den steinharten Hufen des Pferdes mehr Halt bot. In gestrecktem Galopp jagte es weiter, während Miray im Augenwinkel sah, wie der weiße Greif durch das Loch, das er vorhin in den Boden gerissen hatte, in die unterirdische Welt der Paläste und Schlösser eintauchte. Seine langen Flügel streiften Treppen und Türme, die zu Staub zerfielen und unter heftigem Getöse in die Tiefen der Stadt hinunterpolterten.
Die Wände des Tunnels, durch den das Marmorpferd nun jagte, waren mit großen Löchern und Ausschnitten versehen, sodass Miray der Blick auf die Stadt und den Greif nicht ganz genommen wurde. Leider ermöglichte das auch ihrem Verfolger, die Jagd wieder aufzunehmen.
Rasch ging es breite, in die Erde gegrabene, Stufen hinauf und dann in den durchbrochenen Gang eines filigranen Gebäudes hinein. Sie jagten durch einen Saal, über deren löchriger Kuppel kurz ein Auge des Greifs aufleuchtete und dann eine schmale Treppe abwärts, um neuerlich in einen Tunnel einzubiegen.
Erde flog links und rechts unter den Hufen des Pferdes davon, und Miray fürchtete, jeden Moment den Halt zu verlieren. Auch seine Kräfte waren nun am Ende. Seine Finger hielten sich nur mehr mit Mühe und Not in der wehenden Mähne fest.
Die Tunnelröhre spuckte sie in eine weite, unterirdische Höhle hinaus, die von hohen Häusern flankiert wurde. In der Mitte befand sich eine Art Marktplatz, auf dem sogar noch uralte Holzbunden standen. Als sie an einer von ihnen im gestreckten Galopp vorbeidonnerten, zerfiel sie zu Staub und blieb in einer grauen Wolke hinter ihnen zurück.
Der Greif kam über ihnen in Sicht und stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus, der von den engen Wänden der Höhle widerhallte.
Er ließ sich wie ein Stein auf die Verfolgten niederfallen. Eine große Tatze landete vor Miray und dem Marmorpferd. Das Pferd scherte nach links aus und raste weiter ... In einen neuen Tunnel hinein.
Auf einmal wurde es um sie herum finster. Die Geräusche des tobenden Greifs, der in der Höhle Schwierigkeiten hatte, wieder in die Lüfte zu gelangen, blieben hinter ihnen zurück.
Miray riskierte einen Blick über die Schulter und sah eine helle Öffnung, die rasch hinter ihnen immer kleiner wurde.
Dann war die Tunneldecke auf einmal fort, und sie fegten eine gerade Brücke entlang, die über eine gigantische Höhle hinwegschwebte. Eine ganze Stadt breitete sich unter ihnen aus. Große Löcher über ihnen, die den blauen Himmel zeigten, beleuchteten ein Straßensystem, kunstvolle Steinhäuser und Palastbauten, die sich tiefer in der Erde verloren.
Der weiße Greif kam durch einen breiten Ausschnitt über dem Tunnel geflogen. Offenbar hatte er sich schneller aus der Höhle befreit, als es Miray lieb war. Er stieß einen lauten Schrei aus und senkte sich auf die Brücke herab.
Miray legte eine Hand auf den Hals des Marmorpferdes, in der Hoffnung, das Tier könnte dadurch noch schneller laufen. Die Brücke würde den riesigen Greif nicht tragen können. Wenn sie die andere Seite nicht erreichten, bevor der Greif zu landen versuchte, würden sie unweigerlich in die Tiefe gerissen werden.
Das andere Ende der Brücke verschwand in einem weißen Drachenkopf, dessen Maul aufgerissen auf einem der Brückenpfeiler ruhte. Der Drache war aus schimmerndem Gestein gemeißelt, das wie trübes Eis aussah. Die Augen der Kreatur waren geschlossen. Als Miray sich aber mit seinem Pferd näherte, öffneten sie sich langsam. Sie bestanden aus purem Gold, und der Blick darin war so eindringlich, dass der Prinz den Kopf senken musste.
Dem Greif hinter ihnen ging es nicht besser. Als er den Schädel des Drachen sah, stieß er einen schrillen Schrei aus und brachte sich mit seinen mächtigen weißen Schwingen wieder nach oben.
Keine Sekunde später passierte Miray das Drachenmaul, und das Marmorpferd trabte in einen Tunnel hinein, der verdächtig nach einer gerippten Speiseröhre aussah.
Jetzt wurde das Pferd langsamer. Vor ihnen erschien eine steile Wendeltreppe. Das Marmorpferd begann die Stufen zu erklimmen, während die glatten Steinwände immer näher zu rücken schienen.
Einen Augenblick später setzte ohrenbetäubendes Gebrüll ein. Die Erde bebte und Steine rieselten von der Decke herab. Das Marmorpferd blieb stehen und wartete ...
Das Brüllen
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