Iluminai - Das Zeichen der Drachenhüter (Iluminai - Kabal Shar) (German Edition)
Die Fee warf die gläserne Lanze in die Luft, wo sie mit einem leisen Ton verschwand. Als Nächstes eilte sie zu einem kleinen Bündel, das an der Mauer lehnte und holte einen grauen Umhang hervor. Sie streifte ihn sich über, nahm das Bündel an sich und winkte den Prinzessinnen.
Das Tor selbst war nicht einmal verschlossen. Als sie mit den Pferden hindurchgeschlüpft waren und nun von außen einen Blick darauf warfen, zeigte sich, dass es die Form eines geöffneten Schlangenmauls besaß.
Lucy schauderte es.
Rasch stiegen sie in die Sättel. Die Lichtfee schwang sich hinter Lucy auf das Pferd. „Übrigens, meine Name ist Dari“, sagte sie.
Fay gab Philemon die Fersen und in der nächsten Sekunde jagten sie zu dritt in den Wald von Ayn hinein. Kurz bevor die ersten Bäume den Blick auf Falgamond nahmen, sah Lucy im Augenwinkel, wie auf dem Wachturm, neben der Mauer, die rote Signalfahne gehisst wurde.
10. Die Beschwörung
König Tahut träumte. Er befand sich auf einer gigantischen Brücke. Sie war so breit, dass drei Pferdefuhrwerke bequem nebeneinander hätten darüberfahren können und verschwand zu beiden Seiten in einer grauen Unendlichkeit. Aus allerfeinstem Elfenholz war sie gezimmert und das in der Form eines Drachen. Links und rechts bildeten ziselierte Drachenschuppen ein durchbrochenes Geländer, von dem aus man in ein weißes Nichts zu blicken vermochte.
Als sich Tahut darüber lehnte, war es ihm, als würde er weit unter sich das glitzernde Band eines Flusses erkennen können.
Er richtete sich auf und prüfte, in welche der beiden Richtungen er zu gehen wünschte. Auf der einen Seite verschwand die Drachenbrücke direkt in einem Himmel voller blauer Schönwetterwolken. Auf der anderen ging sie in graue Schatten über, die langsam über die Planken der Brücke herantanzten.
Tahut hätte sich gerne für die Wolken entschieden, aber plötzlich ergriff ein fremder Wille von seinem Körper Besitz. Er riss den König herum und brachte ihn dazu, mit ruckartigen Bewegungen auf die Schatten zuzugehen.
Tahut griff nach dem Geländer, aber seine Finger verloren den Halt, und seine Beine marschierten weiter, als würden sie einem unhörbaren Rhythmus folgen.
Große Männer, in zerschlissenen, grauen Mänteln, kamen aus den Schatten auf ihn zugeschritten. Jeder von ihnen musste an die zwei Meter groß sein. Sie bewegten sich langsam und schwebend, mit einer grausamen Anmut, die etwas Abstoßendes an sich hatte.
Als sie Tahut erreichten, drängten sie sich um ihn. Schoben und drückten, kamen ganz nahe und starrten ihn mit ihren grauen Augen prüfend an. Nicht nur ihre Augen waren grau, auch die Haut im Gesicht und an den Händen. Alles an ihnen war grau, als hätte ein furchtbares Erlebnis alle Farbe aus ihrem Leben gezogen.
Unter den zerschlissenen Mänteln trugen sie Gewänder aus leuchtend grauer Seide. Bestickt mit einem Zeichen, das Tahut schon einmal irgendwo gesehen hatte.
Die Männer begannen den König an die Brüstung zu drängen. Hände packten ihn am Kragen und an den Hosenbeinen. Er wurde hochgehoben und über das Geländer gestoßen. Bevor er den Halt verlor, erhaschte er noch einen kurzen Blick auf einen jungen Ritter, der inmitten dieser grauen, schattengleichen Schar hochgewachsener Männer stand.
Er trug eine enganliegende Silberrüstung und einen langen, purpurnen Umhang. Den Helm hatte er unter die Achsel geklemmt, und sein Gesicht war jung wie das eines Mannes, der gerade erst erwachsen geworden war. Sein Haar war dunkel wie Ebenholz, und ein einfacher Silberreif umfasste seine Stirn. Die Gesichtszüge waren ebenmäßig, und die Augen kamen Tahut sofort bekannt vor. Es waren Nyasintas Augen.
*
Tahut fuhr mit einem leisen Schrei aus dem Schlaf hoch und blickte sich haltsuchend um. Über ihm spannte sich das weite Dach einer Sturmweide, deren Blätter leise im Wind raschelten. Darunter erschien Xergius’ Gesicht.
„Habt Ihr wohl geschlafen, mein König?“
Tahut griff nach der Hand, die Xergius ihm darbot.
„Warum habt Ihr mich schlafen lassen!“, schnauzte der König seinen engsten Vertrauten an.
„Weil Ihr gesagt habt, ich soll Euch ein wenig Ruhe gönnen. Ich habe Wache gehalten. Es ist heute sehr ruhig im Wald.“
Tahut schüttelte Xergius’ Hand ab und blickte sich
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