Iluminai - Das Zeichen der Drachenhüter (Iluminai - Kabal Shar) (German Edition)
Nachtgewand befindlich, die Treppe herabeilte, um seinen einzigen Erben und Thronfolger in Augenschein zu nehmen, blieb ihm, im wahrsten Sinne des Wortes, der Mund offen stehen.
„Andamar! Verdammt noch mal! Ich hoffe, Ihr könnt mir das erklären!“, fauchte er und zog das Lederwams über, das ihm ein Diener in schneeweißem Kittel über einem Arm zusammengefaltet entgegenhielt.
„Wenn Ihr etwas wissen wollt, Vater, dann fragt mich und weicht nicht auf einen Eurer Untergebenen aus!“, gab der Prinz beinahe in derselben Tonlage zurück.
Die alten grauen Augen des Königs flammten einen Moment in neuem Zorn auf und richteten sich auf Mirays mehr als jämmerliches Erscheinungsbild.
„Mit Euch, mein Prinz, rede ich noch zu gegebener Zeit“, entgegnete er in übertrieben beherrschtem Tonfall. „Jetzt begebt Euch zu Bett. Wenn Ihr morgen aufsteht, Euch gewaschen und leidlich angezogen habt, werde ich mich mit Euch beschäftigen. Bis dahin geht mir besser aus den Augen, bevor ...“
„Bevor was?!“, versetzte Miray, und Andamar konnte die Spannung zwischen den beiden beinahe körperlich spüren.
„Mein König, ich muss dringend mit Euch reden“, versuchte er Effèlan von seinem aufmüpfigen Sohn abzulenken.
„Das kann ich mir vorstellen“, entgegnete dieser voll Ironie. „Miray, Ihr geht jetzt in Eure Gemächer. Eldeban soll Euch beim Auskleiden und ... Versorgen Eurer Wunden behilflich sein.“
Der, Andamar nun schon mehr als zur Genüge vertraute, trotzige Ausdruck trat auf das Gesicht des Prinzen, der offenbar nicht vorhatte, sich von der Stelle zu bewegen.
„Habt Ihr nicht gehört!“ Die Stimme des Königs war eisig geworden. Miray hielt seinem Blick eine Weile stand, dann senkte er die Augen.
„Und was, wenn ich fragen darf, ist, bitte schön, das?“ Effèlan deutete auf Mirays rechtes Handgelenk, an dem immer noch ein Teil der Fessel zu sehen war, die die Grauen Hexer ihm angelegt hatten. So sehr Andamar sich auch abgemüht hatte, war es ihm nicht gelungen, den schwarzen Zauber so weit zu brechen, dass der Prinz sie ohne Gefahr hätte abnehmen können.
„Eine Fessel, angelegt durch die Grauen Hexer“, gab der Prinz unverblümt Auskunft.
Effèlan fuhr merklich zusammen und warf Andamar einen alarmierten Blick zu.
„Das ist doch nur einer seiner geschmacklosen Scherze“, vergewisserte er sich rasch.
„Ich fürchte nein, mein König“, gab Andamar vorsichtig zu. „Der Prinz sagt diesmal die Wahrheit.“
Effèlan trat auf Miray zu, packte dessen Handgelenk und warf einen genaueren Blick auf das schwarze Seil, das am Unterarm des Prinzen rote Striemen hinterlassen hatte.
„Das ist schwarze Magie, wie ich sie noch nie gesehen habe. Was hat das alles zu bedeuten? Sagt jetzt nur nicht, jemand dort drüben in Faranjoma hat es gewagt, die Grauen Hexer aus dem Schwarzen Buch zu befreien?“
Andamar blickte den König ratlos an, während Miray ihm seine Hand entriss.
„Und wenn, dann ist es Eure Schuld!“, brüllte er auf einmal, und sein Gesicht wurde ganz rot. „Dachtet Ihr, diese Menschen würden es einfach hinnehmen, wenn Ihr ihre Wälder mit Euren Rittern überrennen lasst. Zu feig um selbst ...“
Die Ohrfeige kam so plötzlich und mit voller Wucht, dass Miray gegen Eldeban stieß, der ihn gekonnt auffing.
„Euch steht es noch lange nicht zu, über Euren Vater ein Urteil auszusprechen“, sagte Effèlan mit kalter Stimme. „Eldeban, bringt meinen Sohn in seine Gemächer und kümmert Euch um ihn, damit die Erwachsenen in Ruhe beraten können.“
Der hünenhafte Eldeban, mit der smaragdgrünen Tätowierung über dem rechten Auge, ergriff Miray am Ellenbogen und führte ihn zur Treppe. Der Prinz drehte sich noch ein paar Mal um, aber Eldeban war ein treuer Diener des Königs und hatte keine großen Schwierigkeiten den zierlichen Prinz in sein Gemach zu begleiten.
*
Drei Tage später erwachte Prinz Miray wie jeden Morgen im Palast bei geöffneten Fenstern, während draußen die Waldvögel in ihr melodisches Konzert einstimmten. Der herbe Duft der Farlabäume, die den östlichen Teil des Waldes von Effèlan bevölkerten, drang ihm in die Nase, und er hörte das sanfte Rauschen eines frühmorgendlichen Regenschauers.
Es war ungewöhnlich warm für die Regenzeit. Normalerweise wurden um diese Zeit des Jahres die Fensterfronten der
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