Im Bann der Dämonin
nicht derselbe Traum wie sonst gewesen.
Diesen leeren schwarzen Platz hatte er noch nie gesehen. Und auch noch nie war eine Frau in seinen Träumen aufge-taucht.
„Ein heißes Tuch für Sie, Sir?“ Die Stimme der Flugbegleiterin brachte ihn endgültig in die Realität zurück. Er nahm das Tuch und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Und versuchte, sich daran zu erinnern, wo er sich befand.
Nicht in einer schmutzigen Gasse in Detroit.
Sondern in einem Flugzeug, über dem Atlantik, auf dem Weg nach Italien.
Um eine Dämonin zu fangen.
Um eine Frau zu finden, die er noch nie gesehen hatte, die aber schon jetzt in seinen Träumen auftauchte.
Luciana sah von ihrem Arbeitstisch auf, aus ihrem Tagtraum gerissen. Sie versuchte, sich an den Mann zu erinnern, der ihr gerade in ihrem Traum begegnet war, aber sein Bild verschwand zu schnell, als dass sie es festhalten konnte.
Ein Poltern in der Luft, irgendeine atmosphärische Störung, ließ sie erschaudern.
Auf dem Tisch lag plötzlich eine Vogelfeder, gleich neben ihrer Hand.
Luciana nahm sie und betrachtete die Feder.
Sie war dunkelgrau an der Spitze und wurde zum Schaft hin immer heller. Ganz unten zeigte sie ein schmutziges Weiß. Es war eine ganz normale Taubenfeder, wie man sie überall in der Stadt finden konnte. Seit die Stadt effektive Maßnahmen gegen die fliegenden Ratten unternahm, hatte sich ihre Zahl zwar deutlich dezimiert. Trotzdem gab es immer noch zu viele.
Woher diese Feder kam, war Luciana allerdings ein Rätsel.
Das Fenster war geschlossen und ihr Arbeitszimmer von in- nen verriegelt – wie immer.
Wie seltsam, dachte sie. Aber egal.
Angeekelt warf sie die Feder in den Abfalleimer. Konnte es möglich sein, dass ein Zusammenhang zwischen der Feder und dem Mann in ihrem Tagtraum bestand?
Aber es war gleichgültig. In wie viele Träume von wie vielen Männern war sie in der Vergangenheit eingedrungen? Sie wusste es selbst nicht zu sagen. Sie war Expertin darin, die Begierden von Männern zu manipulieren. Ein Mann mehr war genauso leicht zu entsorgen wie alle anderen vor ihm.
Sie ging nach unten auf der Suche nach ihrem obersten Türhüter.
„Mach das Boot fertig“, trug sie ihm auf. „Zeit, die Jagd zu beginnen.“
Der Auftrag wurde sogleich ausgeführt, und kurz darauf konnte die kurze Fahrt beginnen. Das Boot glitt über den Canal Grande und zum Bacino di San Marco , der Wasserfläche vor dem Markusplatz. Die frische adriatische Brise zersauste Lucianas Haar, und sie schloss die Augen. Sie musste wieder an die Feder denken.
„Wir sind angekommen.“ Massimo deutete auf eine Anlegestellein der Nähe der Erlöserkirche.
Sie trat auf die fondamenta neben dem Kanal und betrachtete die beeindruckende Marmorfassade der Kirche, die sich vor ihr erhob. Menschen strömten durch die großen, geöffneten Türen ins Innere. In der Kirche würden sich Hunderte von Gläubigen zur Eröffnung der Feierlichkeiten versammeln.
Sie sah der Menge zu und wünschte, sie könnte sie alle töten. Sie einfach entsorgen, so wie die Stadt es mit den Tauben machte. Doch stattdessen würde sie sich nur mit einem von ihnen begnügen müssen, einem einzigen Opfer. Das sollte kein Problem sein. Diese idiotischen Menschen schienen nie zu vermuten, was ihnen bevorstand.
„Warte hier auf mich“, instruierte sie Massimo. „Es wird nicht lange dauern.“
3. KAPITEL
A uf Brandon lastete der Verlust seines Menschseins schwer, und er dachte noch immer daran, als er den Platz betrat. Er würde Luciana Rossetti hier finden, das war klar. Er sah an der marmornen Fassade der Chiesa del Santissimo Redentore nach oben und betrachtete die Figuren, die das große weiße Gebäude zierten.
Wieso hier? Es gab so viele heilige Gebäude in Venedig.
Wieso nicht im Markusdom, auf der anderen Seite des Kanals?
Wieso jetzt und nicht während des Karnevals, dem berühmtesten aller venezianischen Feste?
Diese Fragen gingen ihm durch den Kopf, als er durch die geöffneten Türen die Kirche betrat. Er schloss sich der versammelten Gemeinde an, die hier ihrem Gott die Ehre erwies. Menschen, die ihre Hoffnungen mitbrachten an diesen Ort der Anbetung, ihre Ängste und ihre Träume. Sein Herz schmerzte bei ihrem Anblick, aufgrund all des Leids, das die Menschheit erdulden musste.
Er selbst war nicht länger ein Mensch.
Es roch nach Weihrauch, und der Priester murmelte die lateinischen Worte: Et ideo cum Angelis et omnibus Sanctis gloriam tuam praedicamus … In seinem Kopf
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