Im Bann der Dämonin
Venezianer seitdem das Erlöserfest und feiern das Ende der verheerendenPestepidemie. Für kurze Zeit wird dann die Insel Giudecca, auf der sich die Kirche befindet, durch eine Floßbrücke mit Venedig verbunden .
Und jedes Jahr, so hatte Julian Ascher es ihm gesagt, suchte sich Luciana ihr Opfer während dieses Festes aus.
Julian hatte von einem Pakt mit dem Satan berichtet und dass Luciana ihm deshalb jährlich eine Opfergabe brachte.
War das der Grund für ihr erbärmliches Morden?
Brandon suchte vergeblich in der Akte nach einer Antwort.
Auch er selbst hatte in seinem Leben schwierige Entschei- dungen treffen müssen. Doch es war ihm immer wichtig gewe-sen, zugunsten der Menschen zu entscheiden. Er hatte sich stets vom Altruismus leiten lassen. War auf Vergebung bedacht. Al-les andere lag außerhalb seines Verständnisbereichs. „Im Grunde genommen sind die Dämonen genau wie wir“, hatte Arielle während seiner Ausbildung behauptet. „Sie sind leidenschaftliche Wesen, die einen großen Fehler gemacht haben – denn sie erkennen nicht, dass sie in Wirklichkeit göttlicher Natur sind. Unsere Aufgabe ist es, ihnen das beizubringen. Und sie zurück ins Licht zu führen.“
Doch nicht alle von ihnen wollten ein Leben im Licht. Nicht alle von ihnen waren bereit dazu. Wenn er sich die Bilder von Luciana ansah, war Brandon sich ziemlich sicher, dass die Dämonin sehr zufrieden war mit dem, was sie war und wie sie lebte. Sie akzeptierte das Leben in der Finsternis und genoss alle Vorzüge und Privilegien, die sie sich erarbeitet hatte.
Für einen kurzen Moment fielen ihm die Augen zu.
Und sofort war er mittendrin in seinem altbekannten Albtraum.
Der altbekannte Vollmond erhellte den Himmel. Die altbekannte kühle Abendbrise.
Der altbekannte Geruch nach Urin und verrottendem Müll, die altbekannte dunkle Gasse.
Und doch, als er um die Ecke bog und die Gasse betreten wollte, war das nicht der Ort, an dem er gestorben war. Nein, er betrat einen leeren Platz, auf dem sich rein gar nichts befand, nur eine leere Theaterbühne in einer minimalistischen Aufführung. Keine Requisiten, nur der schlichte schwarze Fußboden.
Auf diesem schwarzen Platz erschien wie aus dem Nichts plötzlich die Dämonin.
Ihre Gestalt formte sich aus einer Art Nebel und wurde zu einer konkreten Figur, die auf Brandon eine hypnotische Wirkung ausübte. Ein hochgewachsener, schlanker Körper materialisierte sich, mit üppigen weiblichen Kurven und einer Haut so weiß und perfekt, dass er am liebsten die Hand ausgestreckt und die makellose Kontur ihrer Wange berührt hätte.
Aus dem unscharfen Foto aus der Akte wurde ein Abbild aus Fleisch und Blut, so lebendig, dass er an dessen Realität nicht zweifelte. Sofort vergaß er, dass er sie eben noch widerwärtig gefunden hatte. Wenn er sie ansah, gab es nur noch eine Empfindung, die durch sein Gehirn und seinen Körper rauschte: Verlangen.
Gütiger Gott.
„Du bist nicht real.“ Brandon streckte die Hand nach ihr aus. Seine Finger, gewöhnt an Motorteile aus Metall und Gummi vom Werkeln am Wochenende, bekamen ihr seidiges Kleid zu fassen. Er wollte ihre porzellanartige Haut, ihr feines Gesicht streicheln. Doch er konnte sie nicht erreichen. „Du kannst nicht real sein.“
So exotisch. So schön. Und, wie auf den Fotos, so unglaublich unglücklich.
„Du hast keine Vorstellung, was du da gerade tust“, sagte sie mit sirenenhafter Stimme, honigsüß und mit einem mediterranen Sprachrhythmus. Ihre stark artikulierten Vokale faszinierten ihn, auch wenn die Botschaft klar war. „Wenn du weißt, was dir guttut, dann machst du auf der Stelle kehrt.“
Sie verschwand.
Brandon, der plötzlich wieder allein auf dem Platz stand, wusste weder, wo er war, noch, wohin er gehen sollte. Intuitiv war ihm klar, dass er, ginge er weiter, wieder die unvermeidliche Traumlandschaft seines Todes als Mensch betreten würde. Doch er hatte keine andere Wahl. Es gab keinen anderen Weg. Also schritt er voran und spürte, wie sein Körper sich an einen anderen Ort begab, den Ort mit den Backsteinmauern, an dem es nach der altbekannten Mischung aus Urin und Abfall stank. Er bog um die Ecke. In die altbekannte Gasse.
Die erste Kugel explodierte in seiner Wirbelsäule. Die zweite in seinem Hinterkopf.
Dann erwachte er, wie immer. Der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirn, und er war überwältigt von der Trauer über seinen eigenen Tod.
Doch etwas an diesem Traum beunruhigte ihn mehr als sonst.
Denn es war
Weitere Kostenlose Bücher