Im Bann der Dämonin
hatte er eben in der Kirche ihre Anziehungskraft gespürt. Etwa achtzig Meter lagen zwischen ihnen, und trotzdem spürte er ihre dunkle, böse Energie. Das Böse in Person.
Sie sah sich um, suchte nach ihm. Zweifellos hatte sie bemerkt, dass er ihr auf den Fersen war. Er versteckte sich hinter einer Säule und wartete einen Moment, bis sie ihre Aufmerksamkeit wieder von ihm abgewandt hatte. Erst nach einer langen Pause strebte sie weiter in Richtung Innenstadt.
Binnen Sekunden überquerte Luciana den Markusplatz und schob sich eilig durch die Touristenscharen, die die berühmten Kuppeln des Doms bewunderten. Dann verschwand sie in einer der vielen Gassen, im Gewirr der Gänge, die wie ein eigenes kleines Universum waren.
Wohin Brandon sich auch wandte, überall blickten bröckelnde steinerne Engel und Heiligenfiguren auf ihn hinab. Mit ihren einst vergoldeten Flügeln, deren Farbe nun abgeblättert war, und den maroden Heiligenscheinen schienen sie ihn anzufeuern und ihm Kraft zu verleihen für seine Suche nach der fliehenden Dämonin.
Ob sie noch lange weiterlaufen würde?
Die Sonne versank langsam im Meer, und die Dunkelheit senkte sich über die feiernde Stadt. Brandon verlor jedes Zeitgefühl, als er durch die Straßen rannte und um die Ecken bog. Er konzentrierte sich nur auf die Frau. Darauf, das Flattern ihrer Haare oder ihres Kleides nicht aus den Augen zu verlieren.
Und auf ihre dunkle Energie, die ihn anzog.
Als er um die nächste Ecke bog, dachte er schon, er hätte sie verloren. Doch da nahm er kurz das Rascheln ihres Seidenkleids wahr. Im selben Augenblick war da nichts mehr außer Luft.
Weiter.
Er las den Straßennamen, der in schwarzer Schrift auf einem Eckstein auf dem nächsten Gebäude geschrieben stand.
Rio Terá dei Assassini .
Beim Betreten der Gasse kam er sich vor, als beträte er eine andere Welt.
Aus den Eingängen und von den Mauerbrüstungen schienen ihn unsichtbare Augenpaare zu beobachten. Dutzende Augenpaare, die in der Dunkelheit funkelten. Herumlungernde Gestalten drehten sich um und starrten ihn unverhohlen an. Keine Menschen. Keine Sterblichen. Nicht einmal Dämonen. Nur Kobolde, die herumhuschten wie überdimensionale Ratten und laut keckerten. Ihre runzlige Haut hatte die Farbe von schmutzigem Stein. Und Geister, die im trüben Licht dunkel flackerten und deren dürftige Verbindung zur Erde nur durch den Ort bestand, an dem sie gestorben waren. Verlorene Seelen, unfähig, den Schauplatz ihres Todes zu verlassen.
Niemand musste ihm sagen, dass oder wie viele Menschen hier ermordet worden waren. Das spürte er auch so, vielleicht weil er es aus eigener Erfahrung kannte. Er konnte es in den Augen der Gestalten lesen. Er spürte die Kälte des Todes, die dem Kopfsteinpflaster unter seinen Füßen anhaftete. Die Erinnerung an die schrecklichen Ereignisse, die sich in dieserStraße abgespielt hatten.
Die dunklen Seelen, die ihn jetzt beobachteten … Keine von ihnen registrierte, wer oder was er wirklich war. Diese Kreaturen waren zu sehr in ihrer eigenen Verzweiflung gefangen, um zu bemerken, dass ein Engel unter ihnen weilte. Das las er in ihren in der Dunkelheit funkelnden Augen.
Lauf weiter, Schutzengel, befahl er sich selbst. Du darfst sie jetzt nicht verlieren.
Am Ende der Gasse entdeckte er ihr Kleid, einen flatternden Hauch von Rosa, dem er folgte.
Eine Sackgasse. Er stand im Licht einer kaputten Straßenlaterne und schaute in die stockdunkle Gasse hinein. Nach oben hin war der Blick von Häusern versperrt. Er konnte den Mond nicht mehr sehen.
Doch er konnte Luciana hören, am anderen Ende dieses eingemauerten Gässchens. Ihr Herz raste, ihre Angst war hörbar und greifbarer als seine.
Konzentrier dich, ermahnte er sich.
Er konnte sie spüren, die Vibrationen, die von ihrem Körper ausgingen, und die dunkle Energie, die in ihr pulsierte. Angst. Er lief in die Gasse hinein, hinein in die Dunkelheit.
Die Mauern der schmalen Gebäude türmten sich seitlich neben ihm auf wie ein riesiger Käfig.
Einen Moment lang schien das Kopfsteinpflaster unter seinen Füßen zu wanken. Diese dunkle Gasse erinnerte ihn an den Schauplatz seines eigenen Todes. Ein Moment des Schwindels, ein Gefühl von höchster Anspannung. Die Mauern schienen näher zu rücken und ihn erdrücken zu wollen, der Gestank von Urin und Abfall raubte ihm den Atem.
Er hörte sein Herz laut schlagen. Eine Mischung aus körperlicher Anstrengung und Adrenalinpush.
Panik machte sich in ihm breit, sein
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