Im Bann des Fluchträgers
Reisegefährten mitnehmen.«
Nicht alle Taucher wagten sich sofort wieder ins Wasser. Doch nach und nach gewöhnten sie sich an den Gedanken, vor den Augen der Naj zu tauchen, und gingen mit den Netzen von Bord. Eine Weile hielten sich die Naj in der Nähe der Taucher auf, bis sie das Interesse verloren und in der Tiefe verschwanden. Gegen Abend stapelte sich ein mannshoher Berg von Korallen an Bord. Zum ersten Mal, seit sie abgelegt hatten, war die Stimmung an Bord ausgelassen und fröhlich. Und als die Sonne unterzugehen begann, hieß Sumal zwei der Seeleute das Ruder zu bedienen und trug eigenhändig ein Fass mit Wein an Deck. Klatschen und Jubeln empfing sie. Die Seeleute begannen Fische auf dem Ofen zu braten. Lampen aus geschliffenem Kristall wurden an die Masten gehängt und tauchten das Deck in schummriges Licht.
»Nach jeder guten Korallenernte feiern wir«, erklärte Sumal. »Und heute werden wir auf die Tjärgpferde anstoßen.«
Nach einigem Zögern hatte sich sogar Mel Amie bereit erklärt ihren Platz unter Deck zu verlassen. Amina nahm den Becher mit Algenwein lächelnd an und setzte sich zwischen Ravin und Ladro. Darian prostete Sumal zu und sie nickte und stieß lächelnd mit ihm an.
»Hinag Dantar! Auf Vaju und Dondolo!«, sagte sie. Alle hoben ihre Becher und wiederholten den Trinkspruch. Ravin spürte, wie der Wein ihm kalt und erfrischend durch die Kehle floss. Sein Herz wurde leicht, alle Gefahren flogen davon und verschwanden am Horizont. Die Jontar machte gute Fahrt und schnitt durch das klare Wasser. Als Ravin für einen Moment die Augen schloss, schien es ihm, als flöge das Schiff über das Meer, als wäre der Tjärgwald schon so nah, dass er das Harz der Jalabäume bereits riechen könnte. Chaltar holte sein Instrument hervor, einen dornigen Knochen, der an mehreren Stellen durchbohrt war und als Flöte diente. Als Chaltar ihn an die Lippen setzte, erklang ein trauriger Ton, der an die Schreie von Seevögeln erinnerte. Ein anderer Seemann hatte inzwischen ein weiteres Instrument hervorgeholt. Ravin zählte elf Saiten, die sich über eine polierte perlmuttschimmernde Scheibe spannten. Mit geschickten Fingern schlug der Spieler sie an. Schneidend klare Töne wehten hinaus aufs Meer. Die Musiker spielten eine traurige Melodie und stimmten ein Lied an, das so herzzerreißend war, dass es nur von Unglück und Tod handeln konnte. Ravin spürte, wie die Schwermut von ihm Besitz ergriff. Als der letzte zitternde Ton der Perlharfe verklungen war, jubelte man den Sängern zu und schenkte ihnen Wein ein. Sumal klatschte ebenfalls.
»Nichts für ungut, aber eure Lieder klingen nach Beerdigung, Kapitänin«, sagte Mel Amie und nahm einen Schluck. »Kennt ihr nichts Lustiges?«
Sumal lächelte und sprang auf. Nach wenigen Augenblicken kam sie mit einer weiteren Perlharfe zurück und nahm wieder im Kreis Platz.
»Hört nun ein Lied aus Dantar! Diese Ballade wird immer von zweien gesungen. Ladro, du hast eine schöne Stimme. Du wirst mich begleiten.«
Ladro lachte und wehrte ab, doch Mel Amie gab ihm einen Schubs. Schließlich ging er vom Johlen der Seeleute begleitet zu Sumal und verbeugte sich. Die Melodie, die sie nun mit flinken Fingern anstimmte, klang wie ein mutwilli ger Tanz mit vielen Richtungswechseln und Sprüngen. Während sie die Einleitung spielte, sprach sie weiter.
»Vor vielen Jahren lebte in Dantar ein junger Fischer. Wie alle jungen Fischer war er verliebt, denn wie ihr wisst, ist Dantar auch die Stadt der Liebe und des Tanzes.« Bei diesen Worten warf sie Darian einen Blick zu. »Doch die Liebste des Fischers fährt hinaus aufs Meer und verliebt sich in einen anderen. Unser Fischer aber ist hartnäckig. Er nimmt sein Boot und findet sie.«
Ein launiger Wirbel
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