Im Bann des Fluchträgers
auf der Harfe, dann begann Sumal zu singen. Ihre Stimme klang tiefer und rauer, als Ravin vermutet hätte. Sumal sang vom Fischer, der gegen die Wellen kämpfte und unermüdlich seiner Liebsten folgte. Bei jeder Wechselstrophe gab sie mit einem Nicken das Lied an Ladro weiter, der anfangs zögernd, schließlich jedoch immer sicherer den Mittelteil sang. Seine Stimme klang warm, er sang mit einem Lächeln. Ravin bemerkte, dass Sumal nur Augen für Darian hatte. Darian lächelte – und doch wusste Ravin, dass es nicht Sumal war, die er vor sich sah. Nicht die schöne, stolze Sumal, die im flackernden Licht der Kristalllaternen noch goldener und größer erschien. Die letzten Strophen waren schnell und heiter wie ein Wirbel.
»Wollt schwimmen ich im heißen Meer,
wollt tauchen tief und weit
von Dantar bis nach Deiahen
und bis zum Rand der Zeit.«
»Kein Snai, kein Naj,
kein Schlangentier jagt mich fort von hier.
Und wenn ich meinen Kopf verlier,
verlier ich ihn bei dir!«
»Will tanzen mit dir schlangengleich,
mit Blumen reich geschmückt,
doch kommt die Ebbe, Liebste mein,
dann bist du mir entrückt!«
»Kein Snai, kein Naj, kein Schlangentier
jagt mich fort von hier.
Und wenn ich meinen Kopf verlier,
verlier ich ihn bei dir!«
»Doch wenn du einen Naj nun küsst,
dann, Liebste, merke dir:
Ich fange deinen neuen Schatz,
dich aber lass ich hier!«
Mel Amie und die anderen lachten und klatschten. Sumal und Ladro verbeugten sich und nahmen die Weinbecher, die ihnen gereicht wurden. Ravin atmete den harzigen Weinduft ein. Über seinen Becherrand bemerkte er, wie Sumal Darian zuprostete. Er hätte sofort wieder weggeblickt, wäre ihm nicht der Ausdruck in ihren Augen aufgefallen. Für einen Moment lang war es ihm, als könnte er durch diese Augen in Sumals Seele schauen. Sehnsucht war darin und eine schmerzliche Hoffnung, die er der spröden Kapitänin nicht zugetraut hätte. Das Lächeln, das sie Darian schenkte, wirkte beinahe scheu. Darian hob ebenfalls den Becher. Lange sahen sie sich an, doch schließlich lächelte Darian ein verlegenes bedauerndes Lächeln und senkte den Blick. Sumal Bajis Gesicht versteinerte, als hätte sie eben eine Ohrfeige erhalten, dann überzog flammende Röte ihre Wangen. Ravin sah weg, als hätte er eben einen Blick auf ein Geheimnis erhascht, das nicht für seine Augen bestimmt war.
»Hinag Dantar, Kapitänin!«, rief Mel Amie und prostete ihr zu. »Sehr gut! Obwohl die Vorstellung, dass sich Menschen in Naj verlieben, ziemlich seltsam ist!«
Sumal zuckte die Schultern.
»Freut mich, dass das Lied dir gefällt, Kriegerin. Es haben sich Menschen schon in schrecklichere Geschöpfe verliebt.«
Es klang ärgerlich.
»In Feuernymphen zum Beispiel!«, warf Amina ein. »Seht ihr die Narbe auf Ravins Mund? Er hat eine geküsst!«
Ravin spürte, wie er feuerrot wurde, und blitzte Amina wütend an.
»Sing uns ein Lied von deiner Liebsten, Ravin!«, sagte Chaltar in seiner gedehnten Aussprache. Die Mannschaft klatschte und pfiff. Hilfe suchend blickte Ravin zu Darian, doch der hob nur bedauernd die Schultern.
»Ein Lied! Ein Lied über deine Nymphe!«, forderte die Mannschaft.
Ravin schüttelte den Kopf und schwor sich, Amina bei der nächsten Gelegenheit die Meinung zu sagen.
»Dann wenigstens ein Lied aus dem Wald! Ein Waldlied!«, rief Chaltar. Ladro bat mit einer Geste um Ruhe. Erwartungsvolle Stille senkte sich über die Gruppe. Ravin warf Amina einen letzten eisigen Blick zu, dann kämpfte er seine Wut nieder und überlegte. Er versuchte sich an die vielen Lieder aus dem Tjärgwald zu erinnern, doch seltsamerweise kam ihm nun keines in den Sinn. Nur an ein einziges Lied erinnerte er sich. Ein wehmütiges Lied, das er vor langer Zeit gehört hatte. Vielleicht war es
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