Im Bann des Fluchträgers
wollte sie ihm zulächeln, doch dann senkte sie rasch den Blick und sagte etwas zu Ladro. Ravin biss sich auf die Lippen und sah zur Tür, wo eben die Königin den Saal betrat.
Streng sah sie aus und erschöpft nach den vielen Tagen der Verhandlungen. Dennoch erinnerte nichts mehr an die Frau im Kampfgewand. Königin Gisae war wieder die höfische Herrscherin mit geflochtenem Haar. Ihr hellviolettes Gewand – die Farbe der Trauer – floss bis auf den Boden und endete in einer langen Schleppe. Als sie den Gesandten zunickte, blitzte ihr silberner Stirnreif im Licht der Kerzen auf.
»Wir sind nicht hier um ein Fest der Freude zu feiern«, begann sie unumwunden. »Es ist ein Fest der Trauer. Wir trauern um Menschen aus Tjärg und Tana, Fiorin und Skaris.
Doch gleichzeitig ist es auch ein Fest des Neubeginns. Ich danke den Gesandten aus unseren Nachbarländern, dass sie gekommen sind. Ich danke ebenso unseren Vertretern der Lager in den Wäldern, die bereit waren sich mit denen, die Leid über ihre Familien gebracht haben, an einen Tisch zu setzen. Und vor allem danke ich den Hauptleuten und Horjun aus Skaris, die hier erschienen sind, dass sie sich ergeben und damit noch größeres Leid verhindert haben. Ich danke ihnen, dass sie daraufhin bereit waren, einen Pakt zu schließen, damit dieser Krieg, so sinnlos er gewesen ist, in Zukunft doch noch etwas Gutes bringen möge. Vor allem aber möchte ich den Menschen danken, die auf ihrer Reise ihr Leben in Gefahr gebracht haben um Tjärg vor dem Untergang zu retten. Und die damit verhindert haben, dass auch Skaris, Dantar und die angrenzenden Königreiche in die Gewalt eines skrupellosen Herrschers fallen konnten.« Mit einer Handbewegung deutete sie zu Darian, Ravin, Mel Amie, Ladro und Amina. »Diese fünf Menschen haben bewiesen, dass Skaris und Tjärg keine Feinde sind. Und sie haben uns noch etwas gezeigt: Viel zu oft lassen wir uns täuschen durch das, was wir sehen und sehen wollen. Wir haben die Menschen in Skaris angeklagt, dass sie in mir eine Hexe sahen, die über ein Land von Seelenlosen herrscht. Nun, aber was haben wir geglaubt? Nur zu gerne haben wir uns auf Jarogs Worte verlassen und seine Schauermärchen geglaubt, die er vor vielen Jahren aus Skaris brachte. Nicht einmal Atandros und Laios haben die Lüge bemerkt. Lange genug haben wir nur mit den Ländern jenseits der Südberge Beziehungen unterhalten. Aber niemals mit Skaris. Und Skaris nicht mit uns.« Sie holte tief Luft und blickte sich um. »Nun ist es meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass dieser Bann gebrochen wird. Und deshalb reite ich in drei Tagen mit den Horjun nach Skaris.«
Einen Moment war es ruhig, dann brach der Tumult los.
»Majestät! Das geht nicht!«, wandte ein alter Hofrat ein. »Für diese Angelegenheiten gibt es Botschafter und Gesandte!«
Königin Gisae lächelte.
»Ich werde nicht ohne Botschafter reiten. Aber glaubst du, die Familien, deren Kinder als Horjun kämpften und nun im Tjärgwald begraben liegen, werden den Gesandten glauben, dass ich keine Seelen verschlingende Hexe bin? Nein, ich habe lange genug in meinem Reich gelebt ohne mich darum zu kümmern, was in Skaris geschieht oder in Dantar. Und deshalb ist es wichtiger als alles andere, Versöhnung zu schaffen.«
Sie schwieg und blickte in die Runde. Ravin fragte sich, ob nur ihm die Anspannung in ihrem Gesicht auffiel.
»Wir werden in Skaris Räte einberufen und die Zauberer aufsuchen, die Badoks dunkler Doppelgänger in die Berge verbannt hat. Vielleicht wird es in Badoks Burg bald wieder einen Hofstaat geben.«
»Und wer soll Euch hier vertreten?«, rief eine Hofrätin dazwischen. Das Murmeln im Saal schwoll wieder an, einige der Hauptleute standen auf. Die Königin hob den Arm und Ruhe
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