Im Bann des Fluchträgers
ungewohnter Anblick. Sie passierten die Wachhäuser, die nicht besetzt waren, und ritten am See vorbei. Gespenstisch wirkte das Leuchten der zähflüssigen roten Masse, die vor sich hin kochte. Die Schmiedehäuschen schienen ebenfalls leer zu sein, was Ravin verwunderte. Schließlich passierten sie einen weiteren Felsspalt und kamen in das eigentliche Skilmal. Ravin verstand mit einem Mal, warum Ruk von der Vorstellung, ein guter Reiter käme ausgerechnet von hier, ungläubig gelacht hatte. Im ganzen Dorf schien es keine einzige Ebene zu geben, keine breite Straße, nicht einmal einen Marktplatz. Die Häuser standen auf einem Haufen auf- und, wie es schien, auch übereinander. Es sah aus, als wäre Skilmal vor langer Zeit ein richtiges Dorf gewesen, bis ein Riese gekommen war und den Berg mit dem Dorf im Kessel einfach mit seiner Faust zusammengedrückt hatte, bis die Häuser vom Nordrand des Kessels an die Häuser vom Südrand gestoßen waren. Danach hatte der Riese seine Riesenfaust offenbar noch auf die obersten Häuser niedersausen lassen, denn die unteren Gebäude sahen allesamt so aus, als wären sie unter dem Gewicht der oberen Häuser einfach zusammengebrochen. Hier komme ich also her, dachte Ravin erschüttert. Das ist Galo Bors Welt. Kein Wunder, dass ich Horjun werden wollte!
Das Dorf schien menschenleer, doch Skaardja störte sich nicht daran, sondern glitt flink von ihrem Esel und führte ihn über einen rutschenden Kieselsteinhaufen direkt zu einem der unteren Häuser. Dort hämmerte sie an die Tür. Die Tür ging ein Stück weit auf und ein schielender Junge mit strohblondem Haar steckte seinen Kopf ins Freie.
»Fleisch«, sagte Skaardja ohne Umschweife. »Früchte, Talum und Brot.«
Die Tür knallte zu – Ravin blickte unwillkürlich nach oben, in der Befürchtung, diese Erschütterung könnte einen Häuserrutsch auslösen – dann hörten sie das Zurückschnappen eines Riegels und die Tür schwang wieder auf. Der Raum war so niedrig, dass selbst Ravin beinahe mit dem Kopf an die Decke stieß. Er trat ein und blickte in ein riesiges Maul mit gefletschten Zähnen. Unwillkürlich sprang er zurück, doch Skaardja ging an dem Maul vorbei, wobei ihr Umhang die Lefzen streifte. Ravins Blut hämmerte gegen seine Schläfen. Er bemerkte, dass der blonde Junge ihn missbilligend betrachtete. Das Maul gehörte einem riesigen schmiedeeisernen Drachen in der Mitte des Raumes. Seine Rückenstacheln reichten bis zur Decke und dienten offensichtlich dazu, den Raum abzustützen. Erleichtert holte Ravin Luft und beeilte sich Skaardja zu folgen. An den Wänden hingen riesige Stücke Räucherfleisch und getrocknete Wurzeln. Der Boden war mit Ranjögfellen in allen Größen und Fellschattierungen bedeckt. Gewürzsäcke und bauchige Flaschen standen sorgfältig aneinander gereiht. Ravin stieg der Duft von Berghonig in die Nase, vermischt mit dem süßen und leicht scharfen Aroma von Marjulawein. Tief atmete er ein und alle Düfte vermischten sich zu einer Wolke, die hinter seinen Augen in viele bunte Duftsplitter zerstob. Er bemerkte kaum, dass der Junge ihn immer noch misstrauisch musterte. Skaardja ging die Reihen entlang, deutete auf ein Stück Trockenfleisch, probierte ein Stück glasierte Jala, nickte und wählte mehrere kleine hartschalige Früchte aus.
»Hier, probiere das«, wandte sie sich an Ravin und hielt ihm eine gelbe, würfelförmig geschnittene Süßigkeit hin. Ravin nahm sie und biss hinein. Auf den ersten Biss schmeckte sie herb und bitter, doch sofort zerfloss die Bitternis und er schmeckte eine unglaubliche Süße, die ihm beinahe die Tränen in die Augen trieb. Es war so köstlich, dass er gerne noch ein Stück
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