Im Bann des Highlanders
fast das Herz stehen bleiben, und der Schrei, den sie ausstoßen wollte, blieb ihr im Hals stecken. Sie blinzelte mehrmals, um sich zu vergewissern, dass ihre Fantasie ihr keinen Streich spielte, doch dann nahm ihr Verstand wahr, dass sie hellwach war und keineswegs träumte.
An den Ästen einiger besonders kräftiger Bäume baumelten die Leichen der zerlumpten Männer, deren Gefangene Joan für viele Tage gewesen war. Es gab keinen Zweifel, dass es sich um sie handelte, sie erkannte Iain, der sie mit gebrochenen Augen vorwurfsvoll anzustarren schien.
Joan war minutenlang unfähig, sich zu bewegen. Sie konnte den Blick nicht von den aufgeknüpften Gestalten wenden. Dies war kein Spiel mehr und wer immer die Morde begangen haben mochte, musste noch irrer als die ungewaschenen Spät-Hippies sein.
Ein Rascheln im Gehölz ließ Joan herumfahren, doch als sie sah, dass es sich lediglich um ein Eichhörnchen handelte, das flink an einem Baumstamm hochzuklettern begann, atmete sie erleichtert auf. Ohne noch einen weiteren Blick auf die Gehängten zu werfen, setzte sie ihren Weg fluchtartig fort.
Die Gegend war gefährlicher, als sie geahnt hatte, und die Polizei würde viel zu tun haben, nachdem Joan ihre Geschichte erzählt haben würde. Doch zunächst galt es, den Ausgang aus dem grünen Gefängnis zu finden.
Je weiter Joan voranschritt, desto sicherer war sie sich, dass sie genau dort aus dem Wald treten würde, von wo aus sie die Stimme aus ihren Träumen hinein gelockt hatte. Etwas unterhalb des Hügels, auf dem sich Joan befand, entdeckte sie plötzlich einen Pfad,das erste Zeichen von Zivilisation seit Tagen!
Aus Angst, den Mördern ihrer Entführer zu begegnen, zog es Joan vor, sich im Schutze der Bäume weiter ihrem Ziel zu nähern. Plötzlich blieb sie überwältigt stehen – zwischen Blättern und Ästen wurden die Mauern von Glenbharr Castle sichtbar.
Vor Erleichterung weinend, stolperte Joan vorwärts. Nun achtete sie nicht mehr darauf, wohin sie trat, ihr Blick war fest auf die Burgruine gerichtet, doch mit jedem Schritt, mit dem sie sich näherte, wurde sie zögerlicher.
Sie glaubte sich zu erinnern, dass die Felssteine der Mauern verwittert ausgesehen hatten und teilweise mit Moos bewachsen gewesen waren, doch nun wirkten sie ... irgendwie neuer und gepflegter. Nach einigen weiteren Schritten wurde die anfängliche Skepsis zur Gewissheit: Dort, wo noch vor einigen Tagen das Mauerwerk niedergerissen und die wenigen noch vorhandenen Fenster nichts als schwarze Höhlen gewesen waren, befand sich ein vollständiger Burgtrakt.
Atemlos blieb Joan stehen, es musste sich um eine andere Burg handeln, die lediglich große Ähnlichkeit mit Glenbharr Castle hatte. Fieberhaft überlegte sie, denn in ihrem Reiseführer hatte nichts von einer anderen Burg in der Nähe des Waldgebietes gestanden – und dennoch konnte es gar nicht anders sein.
Noch während sich Joan überlegte, ob die Burg bewohnt war und sie dort um Hilfe bitten konnte, hörte sie plötzlich Schritte. Es mussten sehr viele Menschen sein, die dort im Gleichschritt marschierten, und instinktiv duckte sie sich. Versteckt hinter wildem Gestrüpp und mit angehaltenem Atem starrte sie hinunter auf den Weg und wartete.
Sie traute ihren Augen nicht, als sie erkannte, dass es sich um eine Gruppe Soldaten handelte – Soldaten in altmodischen Uniformen, die aus roten Röcken, schwarzen Zweispitzen, weißen Hosen und langen, schwarzen Stiefeln bestanden. Auf den Köpfen trugen die Dragoner weiß gepuderte Perücken, und über den Schultern hingen Gewehre mit Bajonetten.
Es war keine große Gruppe, es waren vielleicht zwanzig oder fünfundzwanzig Mann.
Allmählich dämmerte Joan, dass nichts so war, wie es sein sollte. Im Zeitraffer erlebte sie noch einmal die vergangenen Tage und kam zu dem Entschluss, dass etwas Ungeheuerliches passiert sein musste.
Es gab keine verrückten Überlebenskünstler, kein Rollenspiel, keine Dreharbeiten für einen historischen Film – Joan musste in einer anderen Zeit gelandet sein! Der letzte Beweis war Glenbharr Castle, dessen Mauern im Licht der Abendsonne einladend leuchteten.
Joans Verstand weigerte sich, ihren Verdacht als Realität anzunehmen, doch es konnte gar nicht anders sein. Zu eigenartig war das Verhalten der schmuddeligen Männer gewesen, zu brutal ihr Tod, als dass es ins einundzwanzigste Jahrhundert passen würde.
Die letzten Männer marschierten gerade unter Joans Versteck vorbei, als sich plötzlich
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