Im Bann des Highlanders
Joan später Gedanken machen, und zwar dann, wenn sie im Flugzeug nach London saß. Für sie stand fest, dass sie noch in derselben Stunde, in der sie in Baile a’Coille eintraf, einen Rückflug buchen würde. Keine zehn Pferde würden sie jemals wieder nach Schottland bringen!
Joan wusste nicht, wie viel Zeit sie damit verbracht hatte, ihre Fesseln zu lösen, und sie sich schließlich mit ungläubiger Miene und steifen Gliedern erhob.
Nach wie vor herrschte eine unheimliche Stille, sogar die Vögel schienen ihre Mittagsruhe eingelegt zu haben. Langsam ging Joan zu den primitiven Unterschlüpfen und suchte nach etwas Essbarem. Bevor sie sich auf die Suche nach Glenbharr Castle machte, musste sie sich stärken.
Sie fand etwas trockenen Käse und ein Stück ranzig riechenden Speck und würgte beides mit Todesverachtung hinunter. Inzwischen hatte sich ihr Magen an das ungenießbare Essen gewöhnt, ihre empfindliche Nase jedoch nicht an den Gestank ihres merkwürdigen Gewandes.
Im ersten Impuls wollte sie es sich vom Leib reißen, doch dann besann sie sich. Sie wusste nicht, wann sie die Burgruine in dem riesigen Waldgebiet finden würde, möglicherweise musste sie eine weitere Nacht inmitten der Natur verbringen. Sie fand eine zerschlissene Kordel, die sie sich um die Taille band, sodass das sackähnliche Gewand besser saß und Joan nicht so sehr beim Laufen behindern würde.
Bevor Joan das Lager endgültig verließ, machte sie sich auf die Suche nach dem Bach, indem sie dem plätschernden Geräusch nachging. Sie fand ihn schnell, das Wasser, das über die glatten Steine floss, war klar wie Kristall. In großen Zügen trank sie davon, danach wusch sie sich Gesicht und Hände.
Der kleine Kamm, den ihr Iain großzügig überlassen hatte, steckte noch immer in der Gesäßtasche der Jeans, und nachdem sich Joan gekämmt hatte, fühlte sie sich nach langer Zeit wieder wie ein Mensch.
Ein letztes Mal warf sie einen Blick auf die Lichtung, die in den vergangenen Tagen zu einer Art Zwangsaufenthalt geworden war, dann sah sie sich unschlüssig um. In welcher Richtung mochte Glenbharr Castle liegen? Orientierung war noch nie ihre Stärke gewesen und so wandte sie sich in die entgegengesetzte Richtung, in die ihre Entführer verschwunden waren. Immerhin konnten diese sich auf dem Rückweg befinden, und Joan wollte ihnen nicht in die Arme laufen.
Obwohl sie es eilig hatte, wandte sie den Blick kaum vom Waldboden, sie wollte nicht riskieren, noch einmal in eine dieser Tierfallen zu geraten, in die sogar Menschen stürzten – so wie Joan und die Person, die weniger Glück gehabt hatte und deren Gebeine noch heute am Boden des feuchten Erdlochs lagen.
Bei der Erinnerung begann Joan trotz der Wärme zu frösteln und erhöhte das Tempo. Dank der Sneakers, die sie noch immer trug, kam sie zügig vorwärts, doch irgendwann blickte sie sich um und glaubte, im Kreis gelaufen zu sein.
Ein Baum sah aus wie der andere, vom Ende des Waldgebietes war keine Spur zu sehen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Sonne unterging, und vor einer weiteren Nacht im Dickicht fürchtete sich Joan. Es waren nicht nur die Gefahren des Waldes, die wilden Tiere, die ihr Furcht einflößten, sondern auch die Angst, von ihren Entführern aufgespürt zu werden.
Orientierungslos schlug sich Joan weiter quer durch den Wald, aß zwischendurch Beeren und trank aus einer glasklaren Quelle.
»Warum begegnet mir kein Mensch?« Der ungewohnte Klang ihrer eigenen Stimme erschreckte Joan. Doch dann erinnerte sie sich an die Beschreibung des Reiseführers, in dem gestanden hatte, dass das ganze Gebiet um Baile a’Coille sehr dünn besiedelt war. Das schien die einzige Erklärung zu sein, weshalb sich Joan fühlte, als wäre sie allein auf der Welt.
Während sie sich weiter durch das Unterholz schlug, überlegte Joan, was sie später der Polizei in Baile a’Coille sagen wollte. Die rauen Burschen, die sie gefangen genommen hatten, mussten bestraft werden; immerhin hatten sie Joan ihrer Freiheit beraubt.
Joan wusste nicht, wie viele Meilen sie bereits ziellos durch die Wildnis geirrt war, als sich der Wald endlich zu lichten begann. Wo der Wald aufhörte, begann die Zivilisation, und wenn sie ganz großes Glück hatte, kam sie sogar bei der Burgruine heraus, wo seit Tagen der Leihwagen stand.
Es war nur eine leichte Bewegung im Wind, die Joan aus den Augenwinkeln wahrnahm und ihren Kopf langsam wenden ließ.
Der Anblick, der sich ihr bot, ließ ihr
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